IV. Die seltsame Beweisführung des Herrn Pfeifer – Teil 2:

 

Über die Ursachen des Holocaust

 

Das Aufgehen der Antinationalen in den Irrationalismus zeigt sich ebenfalls sehr deutlich bei der Frage der Ursachen des Holocaust. Seinen Mangel an Argumenten versucht Karl Pfeifer durch den monströsen Vergleich meiner Person mit dem Nazi-Historiker David Irving zu überdecken. Womit rechtfertigt er diese niederträchtige Anschuldigung? Er zitiert dazu folgendes aus meinem Artikel:

 

„Das Holocaust – die systematische Auslöschung von zumindest 6 Millionen Juden sowie weiteren 4 Millionen Roma, „slawischer Untermenschen“, Minderheiten und AktivistInnen der ArbeiterInnenbewegung in den Konzentrationslagern - verkörpert die dem Imperialismus innewohnende Tendenz zur Massenvernichtung. In der imperialistische Epoche perfektioniert sich die Kombination von höchst rationaler Technik mit der Irrationalität des kapitalistischen Systems in einem noch nie da gewesenen Ausmaß.“

 

Worin also besteht nun unser „Antisemitismus“ und angebliche Nähe zu Nazi-Historikern? Man höre und staune: nicht wegen einer angeblichen Leugnung des Holocaust oder gar der Sympathie für die Judenverfolgung, sondern ... weil ein Zusammenhang zwischen der Vernichtung von 6 Millionen Juden mit der Vernichtung anderer Menschen hergestellt wird und weil wir ihre Ursache in den dem imperialistischen System innewohnenden Tendenzen zur Massenvernichtung sehen! Natürlich ist man jetzt versucht, den Bullen von Tölz mit seinem stoßseufzenden „Pfeifer!“ zu zitieren, das ganze als bloße Idiotie eines Schrebergarten-Jounalisten abzutun und sich wichtigeren Tagesfragen zuzuwenden. Aber dazu ist die Pfeifer’sche Verleumdung zu monströs und es gilt hier, den Anfängen einer schamlosen Verleumdungskampagne entgegenzutreten.

 

Laut Pfeifer geht es darum, „die Einzigartigkeit der Ermordung von sechs Millionen Juden zu betonen“. Es geht also nicht darum, neben der Massenvernichtung der Juden auch auf das grauenhafte Schicksal anderer von den Nazis verfolgter Menschengruppen hinzuweisen, sondern die Ermordung der Juden als etwas vom Schicksal anderen Menschengruppen unterschiedenes hervorzuheben. Sonst begebe man sich auf Irving-Niveau. (Man sieht hier schon die Parallelen zu der oben zitierten Argumentation des Herrn Johnson über den Antisemitismus als unerklärliche Geisteskrankheit.) Daß besagter Irving die Existenz eines Holocaust leugnet, „vergißt“ Herr Pfeifer natürlich in seinem intellektuellen Fieberwahn.

 

Worin besteht also nun laut Pfeifer die Einzigartigkeit des Holocaust? Wir zitieren die betreffende Stelle in seinem Elaborat vollständig:

 

„Was die Ermordung der Juden einzigartig macht, ist nicht die Anzahl der Opfer, sondern die Absicht der Mörder. (sic!) Nur im Fall der Juden versuchten die Nationalsozialisten, alle Männer, Frauen und Kinder physisch zu vernichten. Dieses Programm der totalen Auslöschung verdient eine eigene Bezeichnung - Holocaust oder Schoa. Während der Begriff „Genozid“, wie der in der Völkermordkonvention der UNO definiert wird, verschiedene Handlungen umfasst, die darauf ausgerichtet sind, eine Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, und nicht auf Mord beschränkt ist, steht das Wort „Holocaust“ für die versuchte physische Vernichtung eines ganzen Volks, die mit unermüdlicher Energie betrieben und in der letzten, tödlichsten Phase mit den Methoden moderner fabrikmäßiger Massenproduktion durchgeführt wurde.

 

Opfer eines mörderischen Unternehmens dieser Art wurden nur die Juden.“

 

Aber der Wille der Nationalsozialisten zur Unterwerfung bis hin zur Vernichtung anderer Völker und Menschengruppen war keineswegs auf die Juden beschränkt. (38) Was im Westen Holocaust und von den JüdInnen Shoa genannt wird, ist für die Roma die Porrajmos (Vernichtung). Zwischen einer halben und eineinhalb Millionen Roma wurden während des 2. Weltkrieges von der Nazi-Maschinerie ermordet – ebenfalls wahllos Männer, Frauen und Kinder. Die Roma wurden ebenso wie die Juden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen/religiösen Gruppe vernichtet und nicht wegen ihrer individuellen Taten. Die Nazis wollten sowohl die Juden als auch die Roma als Volk, in seiner Gesamtheit, vernichten. In beiden Fällen war die Auslöschung des gesamten Volkes – der Genozid – das erklärte Ziel. Es ist bezeichnend für die oberflächliche Aufarbeitung der Nazi-Kriegsverbrechen durch die alliierten Siegermächte – deren Hauptinteresse ja in der Integration der besiegten deutschen Bourgeoisie bestand –, daß die Vernichtung der Roma in den Nürnberger Prozessen nicht einmal erwähnt wurde. (39)

 

Noch bevor die Vernichtung der Juden und Roma ihren Höhepunkt erreichte fand 1940/41 die „Aktion T 4“ statt, bei der 200.000 Deutsche, die von den Nazis als „geisteskrank“ und damit ohne Recht auf Leben eingestuft wurden, ermordet wurden - – auch hier wahllos Männer, Frauen und Kinder. Hinzu kommt noch die Ermordung von Millionen sogenannter „slawischer Untermenschen“.

 

Würde sich Herr Pfeifer die Zeit nehmen, sich etwas genauer mit der Geschichte auseinanderzusetzen, wüßte er, daß herrschende Klassen in der Geschichte wiederholt unterworfene Volkgruppen auszulöschen trachteten und dies auch einige Male taten. Der Massenmord, die Ausrottung ganzer Völker ist keine Erfindung des deutschen Faschismus, sondern ein wesenseigenes Merkmal des Systems der Klassenherrschaft. Als Beispiel dafür seien die spanischen Eroberer unter Cortez erwähnt, die zwischen 1519 und 1564 8,5 der insgesamt 10 Millionen Indianer ausrotteten. Ähnlich verfuhr die weiße Bourgeoisie in Nordamerika mit den Indianern. Ein moderneres Beispiel ist der Völkermord an den Armeniern. Den Vorwand des I. Weltkrieges benutzend ließ die Führung des Osmanischen Reichs alleine zwischen März 1915 und Oktober 1916 1,5 Millionen Armenier – den Großteil aller zu dieser Zeit im Einflußgebiet des Reiches lebenden Armenier – deportieren und ermorden. (40) Auch hier wie in den anderen genannten Fällen traf der Bannstrahl der Vernichtung Alle – Männer, Frauen und Kinder.

 

Was den Holocaust von den Beispielen der Indianer unterscheidet, ist die Tatsache, daß dieser im imperialistischen Zeitalter stattfand – das heißt im Zeitalter der Vereinigung der modernsten Technik mit der unbändigen Streben des Monopolkapitals und der Großmächte nach Weltherrschaft. Dadurch nahm die Vernichtung weitaus umfassendere und verheerende Ausmaße an. Das Resultat waren zwei Weltkriege und die Verfolgung bis hin zur Ausrottung ganzer Volksgruppen.

 

Es wäre eine historisch falsche und in Wirklichkeit den Blick für die Zusammenhänge verstellende Haltung, würde man die Vernichtung von 6 Millionen Juden durch die Nazis als etwas von den anderen Verbrechen des Nazi-Regimes Getrenntes, als ein historisches Einzelereignis, betrachten. In Wirklichkeit stellte der Holocaust den abscheulichen Höhepunkt einer Kette von Verbrechen der Nazis und der gesamten imperialistischen Bestialität des 20. Jahrhunderts dar.

 

Hierin besteht gerade auch der Unterschied zwischen den MarxistInnen und den diversen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Historikern. Letztere nennen den Holocaust bloß „das Unfaßbare“ und führen es auf „das Böse“ zurück. Hier sind wir wieder beim Irrationalismus von dem wir vorher sprachen. Als emotionaler Ausbruch, der das Entsetzen über die schrecklichen Verbrechen der Nazis zum Ausdruck bringt, sind solche Äußerungen nur allzu verständlich. Aber als historisch-wissenschaftliche Analyse, als Erklärung der Ursachen dieser Verbrechen, taugen „das Unfaßbare“ und „das Böse“ wohl kaum. Im Gegenteil, sie vernebeln den Blick für die wirklichen gesellschaftlichen Zusammenhänge.

 

Gerade weil die Judenvernichtung ein vorhersehbares Produkt der gewaltsamen Ausbrüche der der imperialistischen Weltordnung innewohnenden Widersprüche war, warnten die marxistischen RevolutionärInnen vor dieser Entwicklung und schlugen eine realistische Kampfperspektive gegen den Antisemitismus vor. Leo Trotzki warnte in den 1930er Jahren: „Die Juden werden aus mehr und mehr Staaten vertrieben, und die Zahl der Länder, die sie aufnehmen können, verringert sich. So wird der Kampf immer heftiger. Man kann sich ohne weiteres vorstellen, was die Juden schon zu Beginn des künftigen Weltkrieges erwartet. Aber auch ohne Krieg ist es so gut wie sicher, daß die nächste Welle der weltweiten Reaktion die physische Ausrottung der Juden mit sich bringen wird. (...) Das Schicksal des jüdischen Volkes – nicht nur seiner politischen Zukunft, sondern sein Überleben – ist mehr denn je unauflöslich mit dem Befreiungskampf des internationalen Proletariats verknüpft.“ (41)

 

Die trotzkistische Bewegung lehnte das zionistische Projekt ab, welches von Anfang an den Charakter eines kapitalistischen Kolonialprojektes trug. Die Vertreibung eines ganzen Volkes konnten und kann den Juden niemals eine dauerhaft sichere und friedliche Zukunft bieten. Unsere Bewegung steht auf dem marxistischen Grundsatz, den Friedrich Engels einst so treffend formulierte: „Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren.“ (42)

 

Statt dessen kämpften die Trotzkisten nach dem Sieg Hitlers 1933 vehement für die vollständige Öffnung der Grenzen der reichen Industriestaaten, in die ja die meisten Juden fliehen wollten. So erklärten die US-amerikanischen Trotzkisten in einer Resolution:

 

„Angesichts der schrecklichen Not der Juden muß es ein spezieller Punkt im Programm der verschiedenen Sektionen der Vierten Internationale sein, gegen alle Einschränkungen der Immigration, speziell der jüdischen Immigration zu kämpfen. In den USA müssen wir gegen die Errichtung solcher Hindernisse kämpfen, wie den Zwang, durch das Vorzeigen von Geld oder eidesstattlichen Versicherungen zu beweisen, daß der Einwanderer keine Belastung für die Allgemeinheit wird. Ein Teil unseres Einsatzes gegen den Antisemitismus muß die Form eines Kampfes für ein uneingeschränktes Einwanderungsrecht für Flüchtlinge und speziell für Juden annehmen.“ (43)

 

Diese Herangehensweise bekräftigten die amerikanischen Trotzkisten noch stärker in einer weiteren Resolution im Gefolge auf die Reichpogromnacht im November 1938, die eine entsprechende antifaschistische Kampagne begleitete. (44)

 

Entgegen den Behauptungen Pfeifers wollten die meisten Juden nicht nach Palästina auswandern, sondern in die USA und andere Länder, was aufgrund des weitaus höheren Lebensstandards dort wenig verwundert. Doch die reichen imperialistischen Staaten schränkten die Einwanderungsmöglichkeiten für die Juden – mit Unterstützung der Zionisten! – immer mehr ein und zwangen sie daher, nach Palästina zu emigrieren. Trotzdem ging nur eine Minderheit nach Palästina. Die jährliche Auswanderung von Juden aus Deutschland belief sich 1934 auf ca. 23.000, 1935 auf 20.000, 1937 auf 23.000, im Januar 1938 bis September 1939 auf 157.000. Davon aber ging trotz aller zionistischen Bemühungen nur ein geringer Teil nach Palästina: 1934 - 37%, 1935 - 36%, 1937 - 10,8%. (45) Das trifft ebenso auf die Situation nach 1945 zu.

 

Doch von all dem will Herr Pfeifer nichts wissen. Seine Unterstellung, unserer Meinung nach hätten die Juden wohl in Deutschland bleiben sollen, ist in Wirklichkeit nur ein weiterer Beweis für seine Methoden der Denunziation.

 

 

 

 

 

(38) Für eine genauere Analyse des Faschismus verweisen wir auf die Schriften des marxistischen Theoretikers und Führers der Oktoberrevolution, Leo Trotzki (Schriften zu Deutschland, Frankfurt a.M. 1971). Siehe auch: Was ist Faschismus? Eine historische und theoretische Erklärung; in: ArbeiterInnenstandpunkt Nr. 136, November 2004. Ebenso werden wir zu diesem Thema demnächst eine ausführlichere Broschüre veröffentlichen. Schließlich sei in diesem Zusammenhang das über weite Strecken ausgezeichnete Buch von Ernest Mandel: Der Zweite Weltkrieg, Frankfurt a.M., 1991 erwähnt.

 

(39) Diese Frage diskutierten wir in der ArbeiterInnenstandpunkt-Broschüre „Die Unterdrückung der Roma in Osteuropa“ (August 2003). Einen gegensätzliche Standpunkt nimmt der Historiker Guenter Lewy ein in seinem Werk “Rückkehr nicht erwünscht” Die Verfolgung der Zigeuner im Dritten Reich; Berlin 2001

 

(40) Siehe den Bericht einer der wenigen Überlebenden Pailadzo Captanian: 1915. der Völkermord an den Armeniern. Eine Zeugin berichtet (1919), Leipzig 1993

 

(41) Leo Trotzki: Die Gefahr der Ausrottung des jüdischen Volkes (1938); in: Leo Trotzki: Sozialismus oder Barbarei. Eine Auswahl aus seinen Schriften, Wien 2005, S. 124. Hervorhebung im Original.

 

(42) Friedrich Engels: Eine polnische Proklamation (1874); in: MEW 18, 527

 

(43) Socialist Workers Party (SWP): Thesen zur jüdischen Frage (1938), http://www.lrp-cofi.org/KOVI_BRD/Dokument/SWP6.html

 

(44) Socialist Workers Party (SWP): Open the Doors to Victims of Hitler’s Nazi Terror! (19.11.1938); in: The Founding of the Socialist Workers Party. Minutes and Resolutions 1938-39, New York 1982, S. 258ff.

 

(45) Siehe Klaus Polkehn: Zusammenarbeit von Zionismus und deutschem Faschismus; in: AL KARAMAH, Nr. 9, 1988, http://www.aldeilis.net/zion/zionhol12.html