II. Die seltsame Beweisführung des Herrn Pfeifer – Teil 1:
Die bürgerliche Kollektivschuld-These
Aber wir wollen nicht länger bei der Person Karl Pfeifer verweilen, sondern auf seine seltsamen Belege, mit denen er mich in die Nähe der Nazis rücken möchte, eingehen. Worin besteht diese „Beweisführung“? Die erste Behauptung lautet kurz und bündig: „Eines der Hauptmotive dafür (für marxistische Ablehnung des Zionismus, d.A.) ist die Entlastung der Vorfahren.“ Die Beweisführung für die Behauptung ist noch viel kürzer und bündiger, nämlich gleich Null. Welche Vorfahren sollen da wodurch entlastet werden?
Zwar kein Beweis, aber zumindest ein Hinweis, ist dann die nächste Behauptung – die wiederaufgewärmte bürgerliche Kollektivschuld-These. Dies geht aus Pfeifers Unterstellung hervor, die marxistische Ablehnung der zionistische Kolonisation Palästinas hätte folgende Konsequenz gehabt: „...dann hätte die deutsch-österreichische Volksgemeinschaft noch ein paar Hunderttausend Juden ermorden können. Denn dieses einmalige Verbrechen wurde ja von vielen Mitgliedern der Volksgemeinschaft verübt, von denen nicht alle Nationalsozialisten waren. Viele von den Tätern waren vorher Wähler der Arbeiterparteien und fanden dann nach dem Krieg auch nahtlos zurück zu diesen.“
Diese Sätze verraten viel über die platte, volkstümelnde Denkweise der Antinationalen. Es waren nicht die Nazis, die SS und die herrschende Klasse Deutschlands, die für den Holocaust verantwortlich zeichneten, sondern ... „die deutsch-österreichische Volksgemeinschaft“. Es waren also nicht die SS-Schergen, die die Konzentrationslager leiteten und den Massenmord durchführten, sondern ... die Volksgemeinschaft? Es waren also nicht Hitler und die Nazi-Führung, die in diversen Geheimbesprechungen und auf der Wannsee-Konferenz im Jänner 1942 die Auslöschung des europäischen Judentums beschlossen, sondern ... die Volksgemeinschaft? Es waren also nicht Konzernherren wie Krupp und Thyssen, die Hitlers Weg zur Macht finanzierten und von der Zwangsarbeit der KZ-Häftlinge wirtschaftlich profitieren, sondern ... die Volksgemeinschaft?
Diese abgeschmackte Kollektivschuld-These relativiert in Wirklichkeit die Verantwortung der Nazis, weil sie die Täter, ihre Hintermänner und die breite Masse jener Deutschen, die Hitler’s Machtergreifung ablehnten und durch seinen Krieg viel verloren, in einen Topf wirft. (10) Sie ist nicht zufällig ein Produkt der Siegermächte, die mit der Kollektivschuld-These die ideologische Rechtfertigung für ihre Nachkriegspolitik gegenüber Deutschland und Österreich lieferten. Nämlich einerseits die bürgerliche Elite in Wirtschaft und Verwaltung, die zuvor loyal den Nazis diente, weitgehend unangetastet zu lassen und in den bürgerlich-demokratischen, imperialistischen Staatsapparat zu übernehmen. (nach dem Motto: irgendwie hatten ja alle Deutschen Dreck am Stecken, also warum soll man da die direkten Handlanger der Nazi-Herrschaft gegenüber der einfachen Bevölkerung anders behandeln?) Andererseits aber auch, um dadurch die Vormachtstellung der westlichen Großmächte gegenüber Deutschland nachhaltig zu festigen (wesentlicher politischer Einfluß auf die deutsche Verfassung, Verbot von Atomwaffen usw.) (11)
Die bürgerliche Kollektivschuld-These verunmöglicht in Wirklichkeit jede historisch-gesellschaftliche Untersuchung sozialer Widersprüche und gegensätzlicher Klasseninteressen. Herrschende und Beherrschte, jene die befehlen und jene, die Befehle ausführen müssen, jene die vom Krieg profitieren und jene, die durch ihn alles verlieren – alles verschwimmt zu einer ununterscheidbaren, nationalistisch definierten Masse.
Tatsächlich steckt hinter der Kollektivschuld-These ein zutiefst mystisches, irrationales Denken, daß mit der reaktionären Kategorie der Erbschuld arbeitet. Die Schuld für bestimmte Verbrechen trägt nicht nur ein ganzes Volk, sondern gibt diese Schuld auch noch an seine Nachkommen weiter. Eine solche Herangehensweise entspricht den reaktionären Blut- und Boden-Kategorien früherer, vor-kapitalistischer Epochen, hat aber im Denken fortschrittlicher Menschen nichts verloren. Wie wir jedoch weiter unten sehen werden, stellt das mystische, irrationale Denken einen wesenseigenen Zug in der Methode der Antinationalen dar.
Ebenso verstellt die Kollektivschuld-These den Blick auf die wahren Schuldigen des Holocaust und rechtfertigt in Wirklichkeit eine passive Haltung gegen den wiederauflebenden Faschismus. Wenn der Faschismus in der Natur eines ganzen Volkes läge, dann ist es sinnlos, gegen heute noch kleine Nazi-Banden auf der Straße vorzugehen. Die einzige Zuflucht, die dann noch bleibt, ist das Hoffen auf die Zwangsmaßnahmen des bürgerlichen Staates – der dem unzivilisierten Volk Manieren beibringt – und wenn das nichts hilft, die kollektive Strangulierung und Niederwerfung eines ganzen Volkes durch eine stärkere Großmacht.
Nicht zufällig besteht darin auch der Hauptinhalt der Politik der Antinationalen: Einerseits Fernhalten vom praktischen Kampf gegen die Nazis. (12) Andererseits und damit verbunden die reaktionäre Aufforderungen an Großmächte und deren Satelliten – im besonderen die westlichen imperialistischen Staaten wie die USA sowie Israel – ihre wirtschaftlichen und militärischen Druckmittel gegen „wesensmäßig faschistische“ Völker wie die Deutschen oder die Araber einzusetzen. (13) Um dem ganzen noch einen gewissen akademischen Anstrich zu geben, wird dann noch intellektuellen Leichenflederei an fortschrittlichen Vordenkern der Nachkriegszeit wie Adorno oder Agnoli betrieben und irgendein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat von diesen mißbraucht.
(10) Es dürfte der Aufmerksamkeit des Hobby-Historikers Pfeifer entgangen sein, daß die NSDAP bei den bürgerlich-demokratischen Wahlen in der Weimarer Republik niemals eine absolute Mehrheit erlangten und die beiden ArbeiterInnenparteien – SPD und KPD – bei den letzten Wahlen im November 1932 deutlich mehr Stimmen auf sich vereinigen konnte als die Nazis. Gerade weil die NSDAP bei diesen Wahlen zwei Millionen Wähler verlor, drängte die führenden Kreise der Bourgeoisie in einem Memorandum an Präsident Hindenburg, Adolf Hitler möglichst rasch als Reichskanzler zu ernennen. (Dieses Memorandum vom 19.11.1932 ist abgedruckt in: Reinhard Kühnl: Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, Köln 1987, S.161ff.) Bei den Betriebsrätewahlen im Juni 1933 – also zu einem Zeitpunkt, in der die Terrormaschine der Nazis bereits die Macht erklommen hatte – bekam die faschistische NSBO bloß 11% der Stimmen, während die ArbeiterInnenparteien die übergroße Mehrheit auf sich vereinigen konnte.
(11) Die selbe Einflußnahme – vielleicht in sogar noch stärkerem Ausmaß – fand in Japan statt. Dort wurde die Verfassung überhaupt gleich von Juristen des US-Besatzungsgouverneurs McArthur geschrieben.
(12) Bei den zahlreichen antifaschistischen Demonstrationen gegen drohende Nazi-Aufmärsche in Wien in den letzten Jahren glänzten die Antinationalen durch rhetorische Großmäuligkeit und Abwesenheit, wenn es um Aktionen geht. Ein typischer Charakterzug kleinbürgerlicher Maulhelden. Es blieb jenen antifaschistischen Organisationen überlassen gegen die Nazis zu mobilisieren, die von den antinationalen Schreihälsen oft als antisemitisch verleumdet werden (neben dem ArbeiterInnenstandpunkt und REVOLUTION waren dies v.a. die AL, SLP, Funke, Linkswende, KI sowie Teile der SJ)
(13) Symptomatisch für das reaktionäre, nationalistische Wesen der Antinationalen waren z.B. ihre diesjährigen Jubelfeiern für „Bomber-Harris“ - den Befehlshaber des verheerenden Bombenangriffs auf Dresden in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945, bei dem mindestens 35.000 Menschen getötet wurden.