IX. Bemerkungen zur Idee eines jüdischen Staates in Mitteleuropa

 

In diesem Zusammenhang wollen wir auch kurz auf die nun durch den iranischen Präsidenten Ahmadinejad aufgeworfene Diskussion um eine Verlegung des Judenstaates nach Europa (z.B. zwischen Deutschland und Österreich) eingehen. Dies auch nicht zuletzt deswegen, weil diese Idee auch von linken und linksliberalen Intellektuellen wie dem linken DDR-Dissidenten Wolfgang Harich, der Wiener Universitätsprofessorin Andrea Komlosy sowie neuerdings auch Henryk M. Broder aufgegriffen wurde. (52)

 

Unabhängig davon, ob diese Idee nach dem II. Weltkrieg verwirklichbar und sinnvoll war oder nicht, so ist sie auf jeden Fall für die heutige Zeit vollkommen utopisch und objektiv reaktionär. Denn sie würde objektiv bedeuten, daß Millionen von Juden und Jüdinnen von Israel nach Europe auswandern müssen.

 

Der Kern des Problems der palästinensischen Vertreibung ist nicht die Existenz der Juden in Palästina, sondern die Errichtung eines jüdischen Staates in dieser Region. Würde dieser Staat und damit alle Privilegien zerschlagen werden, könnten alle PalästinenserInnen zurückkehren und würde durch eine sozialistische Revolution die durch den Kapitalismus verursachte extreme soziale Ungleichheit beseitigt werden, so könnten alle Juden und alle PalästinenserInnen friedlich zusammen leben und niemand müßte Palästina verlassen. Das Problem liegt nicht im zu kleinen Lebensraum für zu viele Menschen, sondern in der jüdisch-nationalistischen (=zionistischen) Kolonialisierung Palästinas, die zur Vertreibung der PalästinenserInnen, der Enteignung des Landes und der daraus resultierenden zionistischen Kontrolle über eine mächtige Wirtschaft und Staatsapparat führte. Nein, niemand muß auswandern – nur die Wirtschaft muß unter die Kontrolle der ArbeiterInnenklasse gestellt und der gesellschaftliche Reichtum auf alle gleich verteilt werden.

 

Wir wollen an dieser Stelle aus aktuellem Anlaß auch auf die jüngsten antisemitischen Aussagen des iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad eingehen. Diese zeigen einmal mehr den reaktionären Charakter des Teheraner Regimes. Mit der antisemitischen Lüge, daß der Holocaust ein Mythos sei, spielen Ahmadinejad und seine Anhänger in Wirklichkeit dem westlichen Imperialismus und Israel in die Hände, die seit geraumer Zeit versuchen, die öffentliche Meinung trotz des Irak-Desaster für einen militärischen Überfall auf den Iran zu gewinnen. (Israel Premier Sharon hat kürzlich seine Armee angewiesen, bis März Einsatzpläne für einen Militärschlag gegen den Iran fertigzustellen.) In Wirklichkeit ist der Antisemitismus von Ahmadinejad nur ein Vorwand für eine imperialistische Niederwerfung des Irans, die den Großmächten und Israel eine größere Kontrolle über die aus Rohstoff- sowie geostrategischen Gründen wichtigen Region. Als marxistische RevolutionärInnen verurteilen wir den Antisemitismus sowie das ganze diktatorische Regime im Iran uneingeschränkt, machen aber ebenso klar, daß wir für eine militärische Verteidigung des Iran – wie schon zuvor Afghanistans und des Iraks – gegen jede imperialistische Aggression eintreten. Denn wie wir anhand des Beispiels Irak sehen konnten, würde die Unterwerfung und Besetzung des Irans den Hauptfeind der Menschheit – die herrschenden Klassen der imperialistischen Großmächte – stärken und das Elend für die betroffenen Völker noch mehr vergrößern.

 

 

 

 

(52) Siehe Andrea Komlosy: Mit allen Mitteln, Die Presse 27.07.2002, http://www.diepresse.at/Artikel.aspx?channel=sp&ressort=S100&id=300399&archiv=false; Henryk M. Broder: Gebt den Juden Schleswig-Holstein!; in: Spiegel Online, 2005-12-19, http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,389472,00.html