Über die Perspektiven der Arabischen Revolution

Zu Herausforderungen & dem Programm der Arabischen Revolution

 Von Michael Pröbsting

 

Im folgenden Artikel legen wir unsere Positionen zum Programm und der Strategie der revolutionären KommunistInnen für die Arabische Revolution dar. Der Artikel entstand im Rahmen der Arbeit an einem umfangreicheren Dokument über die Bilanz, die Perspektiven sowie die Gefahren, die der arabischen Revolution drohen.

 

Die Revolutionär-Kommunistische Organisation zur Befreiung (RKOB) wird in naher Zukunft dieses Dokument veröffentlichen. Eine Diskussion über diese Fragen sowohl mit arabischen AktivistInnen als auch allen internationalistisch gesinnten SolidaritätsaktivistInnen ist aufgrund der Bedeutung dieses Themas von zentraler Bedeutung. (Die Redaktion)

 

Die ArbeiterInnenklasse betritt die Bühne

 

Eine der wichtigsten bisherigen Errungenschaften der arabischen Revolution ist die Entwicklung und Stärkung der ArbeiterInnenbewegung. Eine entscheidende Rolle beim Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali spielte die Initiative von Kräften innerhalb der Einheitsgewerkschaft UGTT, einen Generalstreik gegen das Regime zu organisieren. Während die zentrale Führung lange Zeit eng mit dem Regime verbunden war, nahmen die lokalen Gewerkschaftskomitees in Sidi Bouzid, Bouzaien, Rgeub, Thala, Kasserine und Sfax aktiven Anteil an der Protestbewegung.

Auch nach der Flucht Ben Ali‘s spielten GewerkschafterInnen eine wichtige Rolle und erzwangen z.B. den Rücktritt von zwei ihrer Mitglieder, die als Minister der bürgerlichen Übergangsregierung beigetreten waren.

In Ägypten erlebte die ArbeiterInnenbewegung bereits in den letzten Jahren einen bedeutenden Aufschwung. Ein vom bürgerlichen US-Institut Carnegie Endowment veröffentlichter Bericht spricht von insgesamt 3.000 Streiks und Demonstrationen, an denen zwei Millionen ägyptischer ArbeiterInnen seit 2004 teilnahmen. Damit verzeichnet die ägyptische ArbeiterInnenbewegung ihre stärkste Entwicklung seit dem II. Weltkrieg. [1] Insgesamt sind gegenwärtig ca. 28% der Lohnabhängigen Gewerkschaftsmitglieder.

Doch auch hier zeigt sich das Problem, daß die Gewerkschaften jahrzehntelang von einer Bürokratie dominiert waren, die sich in Abhängigkeit vom Staat und daher in einer Nähe zur Diktatur befindet.

Daher gibt es nun Bestrebungen unter den klassenbewußten ArbeiterInnen in Ägypten, eine neue, unabhängige und kämpferische Gewerkschaftsbewegung aufzubauen. So veröffentlichte eine „Arbeiternnenkoalition der 25. Jänner-Revolution“ am 25. Februar eine Erklärung mit dem Titel “Wandel, Freiheit, Soziale Gerechtigkeit!”. In dieser Erklärung fordert sie die Fortsetzung der „Revolution bis zum Sieg!”. Sie fordert darin nicht nur Sozialversicherung, das Recht auf Arbeit und andere grundlegende Rechte, sondern stellt auch eine Reihe politischer Forderungen auf. Darunter befinden sich die Forderungen nach Rücktritt der Regierung und der Bildung einer neuen, unabhängigen Regierung, die Aufhebung des Ausnahmezustandes, die Freilassung aller politischen Gefangenen und die Beseitigung des Repressionsapparates. [2] Auch wenn die Forderung nach einer unabhängigen Regierung falsch ist – nur eine Regierung, die sich auf von der Basis kontrollierte Organe der ArbeiterInnen, Bauern und Unterdrückten stützt und von diesen „abhängig“ ist, kann den Sieg der Revolution sichern – so drücken diese Forderungen nichtsdestotrotz einen wichtigen Fortschritt in der Entwicklung der ägyptischen ArbeiterInnenbewegung aus.

Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit einer Vielzahl von Streiks in den letzten Monaten, bei denen die ArbeiterInnen oftmals ihre Forderungen durchsetzen konnten.

Auch in anderen Ländern beteiligen sich die ArbeiterInnen mit Streiks an den Aufständen, auch wenn die Entwicklung hier noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in Tunesien und Ägypten.

 

Volkskomitees – Revolutionäre Komitees – Räte

 

Es liegt in der Natur jeder tatsächlichen Revolution, daß sie die Frage der Macht aufwirft und die Ausgebeuteten und Unterdrückten vor die Frage stellt, wie sie ihr Schicksal in die Hand nehmen kann. Daher sahen zahlreiche Revolutionen in der Vergangenheit – beginnend mit der Pariser Kommune 1871 über die Revolutionen in Rußland, Deutschland, Österreich 1917-1920 bis in die Neuzeit – die Entstehung von selbstorganisierten Basiskomitees in den Betrieben und Stadtteilen. Wie immer auch ihr Name ist – Sowjets, Arbeiter- und Soldatenräte, Verteidigungskomitees – sie verkörpern eine alternative Macht. Sie organisieren die ArbeiterInnen und die unterdrückten Schichten unabhängig vom bürgerliche Staatsapparat, sie ermöglichen, daß diese die zentralen Frage diskutieren und entscheiden und daß sie VertreterInnen wählen können, die kontrollierbar und abwählbar sind und keinerlei Privilegien genießen. Solche Räte bieten auch die Möglichkeit, daß die ArbeiterInnen und Unterdrückten nicht im Schlepptau von abgehobenen, bürgerlichen Führungen geraten, sondern ihre Politik selber bestimmen können.

Wir revolutionäre KommunistInnen haben diese spontane Tendenz vieler Revolutionen nicht nur begrüßt, sondern halten es für unabdingbar, daß der Aufbau von Räten systematisch ausgeweitet und koordiniert wird. Nur eine landesweite zentralisierte Koordination von in den Betrieben und Stadtteilen verankerten Räten kann die Grundlage für einen von der ArbeiterInnenklasse selber kontrollierten Kampf bis hin zum bewaffneten Aufstand gegen die herrschende Klasse und schließlich der Errichtung der Macht der ArbeiterInnenklasse (der Diktatur des Proletariats) werden.

In Tunesien existieren bereits eine Reihe von solchen revolutionären Komitees. Sie entstanden – wie so oft – nicht aufgrund abstrakter Konzepte, sondern aufgrund der Notwendigkeit des Kampfes selber. Als die Schläger des Regimes und Plünderer Angst und Schrecken verbreiteten, bildeten sich eine Reihe von Selbstverteidigungskomitees, sogar die Gewerkschaft UGTT reif zur Bildung solcher auf.

In zahlreichen Städten setzte die Bevölkerung die verhaßten, dem alten Ben Ali-Regime ergebenen Bürgermeister ab, vertrieb die lokalen Polizisten und übernahm selber die Kontrolle. Ein westlicher Reporter hat ausführliche Berichte über die faktische Volksmacht in einer solchen Stadt, Zarzis, in Tunesien veröffentlicht. [3] Zwei Tage nach dem Sturz des Diktators versammelte sich die Bevölkerung, wählte ein aus 20 Personen bestehendes „Revolutionäres Komitees“ und beschloß, den Bürgermeister unter Hausarrest zu stellen und die Verwaltung selber zu übernehmen. Das Komitee hat nun auch seine eigene lokale TV-Station und regelt das gesellschaftliche Leben.

Auch in Ägypten entstanden Selbstverteidigungskomitees in Stadtteilen, um sich gegen die Schläger des Regimes zu verteidigen.

 

Die Revolution und ihre Herausforderungen

 

Die arabische Revolution ist eine große Revolution, denn sie mobilisiert alle unterdrückten und ausgebeuteten Schichten des Volkes. Sie ist der Schrei der Unterdrückten nach dem Recht auf Leben, nach Gleichheit und Würde. Die arabische Revolution ist furchtlos und heroisch. Sie zeigt aller Welt: „Yes we can!“. Ja, die Herrschenden sind nicht unantastbar, sie können gestürzt werden.

Die arabische Revolution ist von ihrem Charakter her nicht nur eine demokratische Revolution für Rechte und Freiheiten. Sie ist auch eine Revolution gegen die Armut, gegen die reiche Elite. Sie trägt in sich den Keim der permanenten Revolution, einer Revolution, die sowohl die Fragen der Demokratie als auch der Klassenmacht stellt.

 

Revolutionäre Kampfpartei

 

Wir revolutionäre KommunistInnen von der RKOB sagen: Dieser Keim der permanenten Revolution kann nur dann zur Entfaltung gebracht werden, wenn an der Spitze der Revolution eine Kraft steht, die die Aufgaben der Umwälzung versteht und über ein konkretes Programm des Kampfes verfügt, das die Massen hin zum bewaffneten Aufstand und der Eroberung der Macht und der Errichtung der Diktatur des Proletariats führt. [4] Diese Kraft kann nur eine revolutionäre Kampfpartei sein, die auf der Grundlage der kommunistischen Tradition von Lenin und Trotzki steht. Doch gegenwärtig üben Kräfte einen führenden Einfluß aus, die entweder bewußt die Revolution eindämmen und innerhalb des Rahmens der kapitalistischen Ordnung begrenzen wollen (wie die Moslembruderschaft, sozialdemokratische Kräfte usw.) oder die die Revolution zwar in Richtung radikaler Demokratisierung und sozialer Gleichheit weitertreiben wollen, ohne jedoch dies mit einem Programm des bewaffneten Aufstandes gegen die bürgerliche Ordnung und der Errichtung der Diktatur des Proletariats zu verknüpfen.

Gegenwärtig kann niemand sagen, wie lange die revolutionäre Welle in der arabischen Welt andauern wird. Wahrscheinlich ist es, daß es sich um eine längere Phase mit revolutionären Aufschwüngen und konterrevolutionären Ebben handeln wird. Der Nahe Osten wird ein revolutionäres Pulverfaß wohl nicht für Monate, sondern für Jahre bleiben. Die Spanische Revolution – um einen historischen Vergleich heranzuziehen – begann 1931 und endete 1937 mit der Niederschlagung des ArbeiterInnenaufstandes in Barcelona.

Was wir jedoch aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen schon jetzt sagen können, ist folgendes: Der zeitgerechte Aufbau einer revolutionären Kampfpartei entscheidet über das Schicksal der Revolution und damit der Emanzipation der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten. Nur wenn die ArbeiterInnenklasse an ihrer Spitze eine Avantgardepartei hat, die bewußt die Lehren vergangener Revolution und Niederlagen verarbeitet und die Strategie der permanenten Revolution in der Praxis anzuwenden versteht, kann sie die Macht erobern und gegen die bürgerliche Konterrevolution und imperialistische Gefahren verteidigen.

Die Verbreitung von Illusionen, daß sich die ArbeiterInnenklasse auch ohne revolutionäre Partei befreien kann – wie es z.B. von der zentristischen IMT betrieben wird – ist gefährlicher Unfug. [5] Trotzkis zentrale Lehre der Siege und Niederlagen im frühen 20. Jahrhundert sind gültiger denn je:

Ohne die Partei, außerhalb der Partei, unter Umgehung der Partei, durch ein Parteisurrogat kann die proletarische Revolution nicht siegen. Das ist die Hauptlehre des letzten Jahrzehnts.[6]

Aufgrund dieses Fehlens einer revolutionären Führung ist die Revolution gegenwärtig steckengeblieben. Sie steht vor enormen Gefahren, offenen und versteckten. Dort wo die ArbeiterInnen, die Jugendlichen, die städtische und die ländliche Armut einen ersten Sieg errangen und die Tyrannen vertrieben – in Tunesien und Ägypten – stehen die RevolutionärInnen vor dem Problem, wie aus einem Wechsel der Gesichter eine Wechsel der politischen und wirtschaftlichen Ordnung werden kann.

Eine der wichtigsten Fragen ist die Notwendigkeit der Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse. Die ArbeiterInnen nehmen aktiv Anteil an der Revolution, aber sie sind in ihr nicht die führende Kraft. Das ist das Problem. Dadurch geraten sie unter die Führung von bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Kräften wie z.B. den Moslembrüdern, die die Interessen eines Teils der KapitalistInnen sowie der Geistlichkeit ausdrücken. Oder sie stehen unter dem Einfluß von kleinbürgerlichen, zivilgesellschaftlichen Kräften, die die bürgerliche Übergangsregierung zumindest als vorübergehende Lösung akzeptieren anstatt für eine Regierung der ArbeiterInnen und Bauern einzutreten.

Nur kämpferische Gewerkschaften, der Aufbau von Räten an der Basis, der Aufbau einer revolutionären Jugendbewegung und Frauenbewegung und vor allem die Schaffung einer unabhängigen ArbeiterInnenpartei auf der Basis eines revolutionären Programms kann eine solche Klassenunabhängigkeit gewährleisten.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung kann in Ländern, in denen keine ArbeiterInnenmassenpartei – nicht einmal eine bürgerliche, reformistische – existiert, die Taktik der ArbeiterInnenpartei sein. Revolutionäre KommunistInnen treten dabei dafür ein, daß kämpferische Gewerkschaften und andere Organisationen der Unterdrückten eine politische Partei bilden – eine ArbeiterInnenpartei. Innerhalb einer solchen ArbeiterInnenpartei treten wir als KommunistInnen natürlich dafür ein, daß diese Partei sich auf die Grundlage eines revolutionären Programms stellt. Wir machen aber die Annahme eines solchen Programms aber nicht zur Vorbedingung, eine solche ArbeiterInnenpartei mitaufzubauen.

 

Keine Hoffnungen in die bürgerliche Pseudo-Demokratie!

 

Die Sackgasse vor der die ArbeiterInnenklasse steht, ist die der reformistischen, sich an die bürgerliche Demokratie orientierende Etappentheorie. In Tunesien werden im Juni Wahlen zu Verfassungsgebenden Versammlung stattfinden. Es ist gut möglich, daß auch in Ägypten und vielleicht auch in anderen Ländern noch heuer Parlamentswahlen stattfinden.

Die zentrale Gefahr dabei besteht darin, daß auf diese Weise nur die Spitzen des Staatsapparates ausgetauscht werden und vielleicht der Geheimdienst umbenannt wird. Das System des kapitalistischen Eigentums, das die weitverbreitete Armut verursacht, bleibt dann jedoch bestehen. Ebenso die Konzentration der politischen Macht in den Händen eines abgehobenen und mit der reichen Elite verbundenen Staatsapparates.

In Wirklichkeit könnte eine solche pseudo-demokratische Konterrevolution nicht einmal die gegenwärtigen Hoffnungen der Massen nach eine vollständigen Säuberung des Staatsapparates von allen Schergen des alten Regimes und nach einer Beseitigung von Armut und Arbeitslosigkeit erfüllen.

 

Zentrale Losung der Sowjets/Räte/Komitees

 

Diese Gefahren der bürgerlich-demokratischen Entartung der Revolution machen für kommunistische RevolutionärInnen die Losungen der konsequenten Demokratie und der Forderungen nach sozialen Reformen keineswegs überflüssig. Im Gegenteil, sie behalten ihre volle Gültigkeit. Doch es gilt, sie so zu stellen, daß sie einen Übergangscharakter bekommen, daß sie die unabhängige Organisation der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten sowie ihr Selbstbewußtsein stärken anstatt sie in eine passive Haltung der Hoffnung auf andere Kräfte zu versetzen.

Im Zentrum der Propaganda muß daher die Losung der Selbstorganisation an der Basis – in den Betrieben, den Stadtteilen, den Kasernen, den Schulen und Universitäten – stehen. Was immer auch ihr Name sei – Räte, Sowjets, Volkskomitees, revolutionäre Komitees – ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, daß solche Räte die ArbeiterInnen und die anderen unterdrückten Schichten zusammenfassen, ihnen ein Forum zur Diskussion und Entscheidungsfindung geben, daß sie kontrollierbare und abwählbare Delegierte wählen und diese Delegierte sich in den Städten, den Regionen und landesweit zu einem Zentralrat zusammenschließen. Nur auf diese Weise können die ArbeiterInnen und die Unterdrückten über ihr Schicksal mitbestimmen anstatt zum Spielball von Übergangsregierungen oder abgehobener bürgerlicher oder kleinbürgerlicher Parteien der Rechtsanwälte und Ärzte oder Militärs oder der Politik der Gewerkschaftsbürokratie zu werden.

Der Aufbau solcher Räte ist keine Aufgabe, die auf einen späteren Zeitpunkt – eventuell erst kurz vor dem Aufstand (wie es die StalinistInnen in den 1920er und 1930er Jahren behaupteten) – verschoben werden darf. Die Räte sind jetzt für die Weiterführung des Klassenkampfes von entscheidender Bedeutung. Sie können dann auch zur Ausgangsbasis des Aufstandes, der ArbeiterInnen- und Bauernregierung und schließlich der Diktatur des Proletariats werden.

Damit verbunden ist der Kampf für den Aufbau von Selbstverteidigungskomitees. Solche Komitees können die ArbeiterInnen und Unterdrückten gegen den nach wie vor bestehenden Repressionsapparat schützen. Zu einem späteren Zeitpunkt können sie die Grundlage für voll entwickelte ArbeiterInnen- und Volksmilizen bilden, die zum bewaffneten Arm der Revolution wird.

 

Revolutionär-demokratische Losungen

 

Solche Räte, Basiskomitees, sind ein Schlüssel, um die Forderungen der radikalen Demokratie tatsächlich vorantreiben können. Für eine komplette Säuberung des Staatsapparates! Die Massen in Tunesien setzen vielerorts die alten Bürgermeister und Polizisten ab. Das ist ein hervorragender erster Schritt. Dieses Beispiel sollte verbreitet und in allen Bereichen angewandt werden. Für die völlige Durchleuchtung aller staatlicher Beamter und ihrer Taten unter dem alten Regime – v.a. bei Polizei, Armee, Geheimdienst, Verwaltung, Gericht, Betriebsdirektoren usw. - unter Kontrolle von Räten!

Der gestohlene Reichtum der Tyrannen muß dem Volk zurückgegeben werden. Für die Beschlagnahmung des Eigentums der herrschenden Familien und ihre Nutzbarmachung im Rahmen eines staatlichen Wirtschaftsplanes!

Eine weitere wichtige demokratische Frage ist die der nationalen und religiösen Minderheiten. In Ländern wie Algerien, Tunesien und Libyen ist die Losung des nationalen Selbstbestimmungsrechts für das Volk der Berber wichtig. In Syrien, dem Irak und dem Iran ist das nationalen Selbstbestimmungsrechts der KurdInnen zentral. Ebenso wichtig sind die Rechte der unterdrückten Religionsgruppen wie der Kopten-in Ägypten oder der Schiiten in Bahrein oder dem Libanon.

Ebenso ist die vollständige Trennung von Staat und Religion und der Kampf gegen die reaktionäre Einmischung des Klerus in gesellschaftliche Fragen (z.B. Bekleidungsvorschriften für Frauen) eine wichtige Losung.

Einen besonderen Platz nimmt das nationale Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes ein, daß durch den zionistischen Apartheidstaat Israel seit 1948 unterdrückt und vertrieben wird. Die arabische Revolution muß ihre palästinensischen Brüder und Schwestern im Gaza und der Westbank gegen die Angriffe der israelischen Kriegsmaschinerie verteidigen und ihnen auch mit der Waffe in der Hand beistehen. Ebenso muß sie sich an die jüdische ArbeiterInnenklasse in Israel wenden und sie zum gemeinsamen Kampf gegen den Zionismus und Kapitalismus auffordern. Die Losung der arabischen Revolution muß das vollständige Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge, die Zerschlagung des Staates Israel und die Errichtung einer gemeinsamen, arabisch-jüdischen ArbeiterInnen- und Bauernrepublik in Palästina sein.

Aufgrund der jahrzehntelangen Diktaturen sind Hoffnungen in eine bürgerliche Demokratie weitverbreitet. Es reicht nicht aus, wenn KommunistInnen solche Illusionen einfach nur denunzieren. Die Massen müssen ihre Erfahrungen mit den verschiedenen Formen der Demokratie selber machen. Deswegen stellen wir die Losung der revolutionären Verfassungsgebenden Versammlung auf. Eine solche Versammlung sollte kein Parlament sein, sondern ausschließlich für den Zweck der Ausarbeitung einer neuen Verfassung gewählt werden. KommunistInnen würden innerhalb einer solchen Verfassungsgebenden Versammlung für eine sozialistische Gesellschaftsordnung eintreten.

Doch damit eine solche Verfassungsgebenden Versammlung nicht leicht zu einem Instrument der herrschenden Klasse wird – eine Gefahr, die aktuell in Tunesien gegeben ist – darf sie nicht von der Regierung einberufen werden, sondern muß von einer revolutionären Regierung der ArbeiterInnen- und Bauernräten selber einberufen werden.

 

Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle

 

Die zentrale Bedeutung des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit und die zahlreichen Streiks für höhere Löhne zeigen die vorrangige Bedeutung, wer, also welche Klasse, die Kontrolle über die Wirtschaft ausübt. Bislang war dies die kleine Minderheit der KapitalistInnenklasse. Das muß sich ändern! Die Schlüsselbetriebe in Industrie, Transport, Dienstleistungen und Banken müssen entschädigungslos verstaatlicht und unter Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden.

Von besonderer Bedeutung sind hier natürlich die Erdöl- und Erdgasindustrie, die in zahlreichen Ländern der arabischen Welt einen Großteil der Exporteinnahmen ausmacht. Gerade diese Schlüsselindustrien müssen im staatlichen Eigentum und unter Kontrolle der Beschäftigten sein.

Dies mindert nicht die zentrale Bedeutung des heutigen Kampfes für höhere Löhne, für eine umfassende Sozial- und Krankenversicherung und gegen Entlassungen.

Um die Preissteigerungen in den Griff zu bekommen, bedarf es Preiskomitees der ArbeiterInnen und der KonsumentInnen, die die Preisentwicklung überwachen und gegebenenfalls eine Herabsetzung der Preise erzwingen können.-Die Löhne müssen an die Preisentwicklung angekoppelt werden, um so eine schleichende Verarmung zu verhinder.

Um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen bedarf eines öffentlichen Beschäftigungsprogramms, daß die Wirtschaft modernisieren und von den imperialistischen Konzernen unabhängiger machen könnte und unter Kontrolle der Gewerkschaften stehen muß.

 

Kampf für die Umwandlung der Gewerkschaften

 

Die Gewerkschaften waren in der Vergangenheit regimenahe, durch und durch verbürokratisiert und ein Instrument der Befriedung der ArbeiterInnen. Sie müssen aber zu einem Instrument des Kampfes der ArbeiterInnen werden. Dazu müssen die Gewerkschaften radikal verändert werden. Kein Funktionär darf mehr als das Durchschnittsgehalt der Mitglieder verdienen! Alle Funktionäre müssen kontrollierbar und abwählbar sein.

Die Gewerkschaften müssen für die breite Masse der ArbeiterInnen geöffnet werden. Sie müssen eine Vorreiterrolle bei den Kämpfen für die Rechte der ArbeiterInnen spielen. Streik- und Betriebskomitees stehen hier nicht im Gegensatz, sondern können – ähnlich wie die Fabriksdelegierten und Basiskomitees in Italien in den späten 1960er Jahren – zum Ausgangspunkt des Aufbaus einer Basisbewegung in den Gewerkschaften werden.

Dort wo es nicht möglich ist, für die Umwandlung der Gewerkschaften zu kämpfen, kann auch der Aufbau neuer, unabhängiger Gewerkschaften sinnvoll sein.

 

Für die Rechte der Frauen, der MigrantInnen und der Jugend!

 

Die Frauen haben gerade bei den revolutionären Ereignissen gezeigt sie, daß sie den Männern in Einsatz und Mut um nichts nachstehen. Die patriarchale Unterdrückung der Frau und die traditionelle Rolle der Frau konnten z.B. während der Besetzung des Tahrir-Platzes in Ägypten und bei den Streiks zurückgedrängt werden.

Eine implizite Anerkennung dieser zentralen Rolle der Frau in der Revolution ist ein von der Übergangsregierung in Tunesien kürzlich erlassene Gesetz, wonach bei allen Parteien, die im Juni bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung antreten, mindestens die Hälfte der KandidatInnen Frauen sein müssen. Ein solches Gesetz haben die angeblich „aufgeklärten“ westlichen Demokratien bisher nicht zustande gebracht! Notwendig ist der Kampf für die vollständige gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frau, für die Vergesellschaftung der Hausarbeit, für die breite Einbeziehung der Frauen in die Erwerbstätigkeit und das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der Berufswelt.

In vielen Ländern stellen die MigrantInnen einen bedeutenden Anteil der ArbeiterInnenklasse und sind dabei aber meistens völlig rechtlos. Die arabische Revolution hat das Schicksal der MigrantInnen bislang weitgehend ignoriert. Die muß jedoch deren Forderungen auf ihre Fahnen schreiben und sie selber in die Bewegung miteinbeziehen. Wichtig wird hier vor allem der Kampf für die vollständigen Staatsbürgerrechte für alle MigrantInnen sowie für das Prinzip Gleicher Lonh für gleiche Arbeit sein.

Die Jugend hat in der Revolution eine Vorreiterrolle gespielt. Der Kampf für die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit, für volle demokratische Rechte sowie für gleichen Lohn für gleiche Arbeit sind hier vorrangig.

 

Nieder mit dem Imperialismus und seiner Handlanger!

 

Der Imperialismus bleibt einer der größten Feinde der Völker. Niemand hat vergessen, daß die Großmächte über Jahrhunderte hinweg die unterdrückten Völker als Kolonialsklaven hielt. Wer kann vergessen, wie die Großmächte – allen voran die USA - die Völker in Irak und Afghanistan einer brutalen Besatzungspolitik unterwerfen?! Wer vergißt all die Sparprogramme, die der Internationale Währungsfond (IWF) den arabischen Ländern aufzwang?!

Für die Streichung aller Abkommen mit dem IWF und anderen Finanzinstitutionen! Für die Enteignung der imperialistischen Konzerne!

Keine militärische Zusammenarbeit mit den Großmächten und der NATO! Für die Auflösung aller imperialistischen Militärstützpunkte wie in Bahrein!

Keine Zusammenarbeit mit der EU bei der Flüchtlingspolitik! * Öffnet die Grenzen für alle Flüchtlinge aus Nordafrika und dem Nahen Ostens!

 

Für die Niederlage der NATO in Libyen! Hände weg von Syrien!

 

Die NATO versucht, die Wirren des Bürgerkrieges ausnützend und unter dem Vorwand der humanitären Intervention ihren Einfluß in Libyen und der ganzen Region auszuweiten. Wir sagen: Für den Sieg der libyschen ArbeiterInnen und Bauern gegen das Gaddafi-Regime! Aber gleichzeitig müssen die pro-imperialistischen Kräfte im Lager der Rebellen politisch bekämpft und ihr Einfluß zurückgedrängt werden. Keine Zusammenarbeit mit der NATO! Im Gegenteil: Für die Niederlage der NATO-Truppen im Libyen! Die internationale ArbeiterInnenbewegung muß mit allen nötigen Mitteln – inklusive direkter Aktionen – gegen die NATO-Kriegsmaschinerie vorgehen! Im Falle des Einsatzes von imperialistischen Bodentruppen in Libyen sagen wir: Der Hauptfeind sind die NATO-Truppen! Gegen mögliche imperialistische Angriffe auf Syrien!

Für die aktive Unterstützung durch die internationale ArbeiterInnenbewegung und v.a. die RevolutionärInnen in den arabischen Nachbarländern. Für internationale Solidaritätsbrigaden und Waffenlieferungen an die libyschen Revolutionäre!

 

Die Revolution permanent machen und zur Machtergreifung vorantreiben!

 

Die zentralen Fragen – konsequenten Demokratie, Beseitigung von Armut und Arbeitslosigkeit usw. – können nur dann gelöst werden, wenn die ArbeiterInnenklasse, im Bündnis mit den anderen unterdrückten Klassen und Schichten, die herrschende KapitalistInnenklasse stürzt und ihre eigene Macht errichtet (die Diktatur des Proletariats). Das ist die objektive Basis der von Trotzki entwickelten Strategie der permanenten Revolution – eine Strategie, zu deren Verwirklichung es einer revolutionären Avantgardepartei bedarf.

So schrieb Trotzki 1929:

Wie verschieden die ersten episodenhaften Etappen der Revolution in den einzelnen Ländern auch sein mögen, die Verwirklichung des revolutionären Bündnisses zwischen Proletariat und Bauernschaft ist nur denkbar unter der politischen Führung der proletarischen Avantgarde, die in der Kommunistischen Partei organisiert ist. Dies wiederum bedeutet, daß der Sieg der demokratischen Revolution nur durch die Diktatur des Proletariats denkbar ist, das sich auf das Bündnis mit der Bauernschaft stützt und in erster Linie die Aufgaben der demokratischen Revolution löst.“ [7]

Eine Trennung der Etappe der Erkämpfung demokratischer Rechte und der proletarischen Machteroberung – wie es von den stalinistische Parteien betrieben wird – ist falsch und entwaffnet politisch die ArbeiterInnenklasse. Die demokratische Revolution muß in die sozialistische Revolution übergehen.

Die Diktatur des Proletariats, das als Führer der demokratischen Revolution zur Herrschaft gelangt ist, wird unvermeidlich und in kürzester Frist vor Aufgaben gestellt sein, die mit weitgehenden Eingriffen in die bürgerlichen Eigentumsrechte verbunden sind. Die demokratische Revolution wächst unmittelbar in die sozialistische hinein und wird dadurch allein schon zur permanenten Revolution.“ [8]

Beim Kampf für die Revolution kann die Losung der ArbeiterInnen- und Bauernregierung eine zentrale Rolle spielen. Eine solche Regierung wäre eine, die sich auf die Organe der ArbeiterInnenklasse und der Bauernschaft stützt – in erster Linie von Räten und Milizen. Eine solche Regierung müßte voranschreiten zur Enteignung der KapitalistInnenklasse.

In jedem Fall wird der Sturz der herrschenden Klasse nicht friedlich vonstatten gehen. Alle Erfahrungen bisheriger Revolutionen lehren: die Bourgeoisie gibt ihre Macht nie freiwillig ab. Wer – wie diverse SozialdemokratInnen, StalinistInnen und ZentristInnen – die Illusion eines möglichen friedlichen Übergangs zum Sozialismus in Aussicht stellt oder diese Frage auch nur offen läßt, schadet der ArbeiterInnenklasse anstatt sie auf die bevorstehenden Aufgaben vorzubereiten. Die unterdrückte Klasse muß die Macht gewaltsam, mit der Waffe in der Hand, erobern. Dazu sind der bewaffnete Aufstand und der revolutionäre Bürgerkrieg unausweichlich. Aufgabe der revolutionären Partei ist es, die ArbeiterInnenklasse für diese Herausforderungen zu bewaffnen.

 

Die Revolution internationalisieren!

 

Sollte die proletarische Revolution einem Land siegen, werden die gestürzte KapitalistInnenklasse sowie die imperialistischen Großmächte alles daran setzen, um die Revolution einzudämmen und schließlich zu zerschlagen. Dies war das Schicksal der Oktoberrevolution und der Sowjetunion. Daraus müssen wir die Lehren ziehen. Deswegen muß es das Ziel der an die Macht gekommenen ArbeiterInnen und Bauern/BäuerInnen sowie der internationalen ArbeiterInnenbewegung sein, sich nicht auf eine längerfristige Konsolidierung der Revolution im nationalen Rahmen zu orientieren, sondern vielmehr die Ausweitung der sozialistischen Revolution anzustreben. Die Losung der arabischen Revolution muß die permanente Revolution hin zu den Vereinigten Sozialistischen Staaten des Maghreb und Maschrek!

Die arabische Revolution ist ein Fanal, der Beginn eines neuen historischen Abschnittes. Ein Zeitalter der Revolutionen hat begonnen und die internationale ArbeiterInnenbewegung muß aus den Erfahrungen unserer arabischen Brüder und Schwester lernen.

Die ArbeiterInnenbewegung in Europa muß die arabische Revolution unterstützen. Dies kann in Form von materieller und organisatorischer Hilfe stattfinden. Aber die größte Unterstützung können wir dadurch geben, in dem wir den Klassenkampf gegen die kapitalistischen Sparprogramme, gegen den imperialistischen Krieg in Europa selber vorantreiben. Unser Motto muß lauten: Tragen wir die Fackel der Revolution nach Europa!

Eine wichtige Rolle können dabei die MigrantInnen spielen. Gerade die MigrantInnen aus den arabischen Ländern könnten dabei als Verbindungsglied eine entscheidende Rolle einnehmen.

Aber wir wiederholen: Ansätze in diese Richtung können spontan stattfinden. Doch um aus diesen Tendenzen eine bewußte Strategie, einen bewußten Plan der Vorantreibung des Klassenkampfes hin zur sozialistischen Revolution zu machen, dafür ist der Aufbau einer revolutionären Kampfpartei national und international dringend erforderlich. Diesem Ziel haben wir uns von der RKOB verschrieben. Schließ dich uns an!

 



[1] Siehe Joel Beinin, Kamal Abbas, Sarah Whitson, Michele Dunne: Labor Protest Politics and Worker Rights in Egypt, February 17, 2010, http://www.carnegieendowment.org/events/?fa=eventDetail&id=2816

[2] Siehe Workers coalition of 25th January: Egypt: Declaration of the Workers’ Coalition of the January 25 Revolution; in International Viewpoint Online magazine, Nr. 435, April 2011, http://www.internationalviewpoint.org/spip.php?article2102

[3] Siehe z.B. die Berichte von Doug Saunders: In Tunisian Towns, It’s Students Teaching Lessons in Democracy, March 1, 2011, http://dougsaunders.net/2011/03/tunisia-democracy-arab-revolution/ sowie Uprising in Tunisia. A self-taught democracy emerges from Tunisia's classrooms, Globe and Mail, Feb. 28, 2011, http://www.theglobeandmail.com/news/world/africa-mideast/article1924367.ece

[4] Unter „Diktatur des Proletariats“ verstehen wir MarxistInnen die Herrschaft der ArbeiterInnen klasse (Proletariat) als der Mehrheit der Gesellschaft (bzw. die Mehrheit der Gesellschaft anführend) über die Minderheit der gestürzten und enteigneten KapitalistInnen. Wir sprechen von einer „Diktatur“, weil der Übergang von der bürgerlichen Klassengesellschaft hin zur klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft auf den entschlossenen Widerstand der Klasse der ehemaligen AusbeuterInnen und ihre Helferhelfer stoßen wird und dieser – im Interesse der Befreiung der Menschheit - mit allen zur Verfügung stehenden politischen, ideologischen und militärischen Mitteln unterdrückt werden muß.

[5] Sagt der Marxismus, dass eine Revolution ausgeschlossen ist, wenn keine revolutionäre Partei an der Spitze der ArbeiterInnenklasse steht? Nein. Eine Revolution verläuft nach ihren eigenen Gesetzen – unabhängig vom Willen der RevolutionärInnen. Eine Revolution beginnt, wenn alle objektiven Bedingungen gegeben sind. Die breiten Massen warten nicht, bis eine revolutionäre Partei aufgebaut ist. In revolutionären Situationen macht der Faktor Führung aber sehr wohl einen entscheidenden Unterschied, nicht selten entscheidet er zwischen Sieg und Niederlage.“ (Manifest der Internationalen Marxistischen Strömung: Die Arabische Revolution, 24. März 2011, http://www.derfunke.at/html/index.php?name=News&file=article&sid=1805)

[6] Leo Trotzki: Die Lehren des Oktober (1924); in: Die Linke Opposition in der Sowjetunion 1923-1928, Band II, S. 244

[7] Leo Trotzki: Die permanente Revolution, in: Leo Trotzki: Ergebnisse und Perspektive. Die permanente Revolution; Frankfurt a. M., 1971, S. 158f.

[8] Leo Trotzki: Die permanente Revolution, in: Leo Trotzki: Ergebnisse und Perspektive. Die permanente Revolution; Frankfurt a. M., 1971, S. 160