Übersetzung der englischsprachigen Stellungnahme der Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz (RKIT/RCIT) vom 25.08.2012
1. Die massive Hetzjagd gegen Julian Assange, Chefredakteur und Gründer von WikiLeaks, ist eskaliert nachdem die britische Regierung sogar so weit ging, die Erstürmung der Botschaft Ecuadors, in der Assange politisches Asyl fand, anzudrohen. Die britische Regierung der Tories und Liberalen rechtfertigte ihre Androhungen dadurch, dass sie behauptete, Assange nach Schweden ausliefern zu müssen, damit er zu den Vergewaltigungsvorwürfen befragt wird. Eine Reihe fortschrittlicher Organisationen verteidigen richtigerweise Assange und damit einhergehend auch sein Recht, Großbritannien zu verlassen und nach Ecuador zu gehen einfordern.
Ein wesentlicher Teil der „Linken“ kapituliert dagegen vollkommen gegenüber dem imperialistischen Druck und unterstützt die Bestrebungen des britischen und schwedischen Imperialismus, den WikiLeaks-Gründer Assange nach Schweden auszuliefern. Die ArbeiterInnenbewegung muss ihre Position zu dieser ganzen Frage aus der Analyse der verschiedenen Klassenkräfte ableiten, die in diesem Fall mitspielen.
2. Die Hetzjagd gegen Assange findet eindeutig im politischen Rahmen der Veröffentlichung verschiedener geheimer Dokumente und Geheimverbindungen der letzten Jahre statt. Im Zuge dieser Arbeit hatte WikiLeaks eine Reihe an kriminellen und geheimen Akten und Aktivitäten der imperialistischen Großmacht USA und anderer Regierungen aufgedeckt. Einer der wohl berühmtesten Vorfälle war die - von WikiLeaks im April 2010 bekanntgemachte - Ermordung von neun irakischen Zivilisten sowie zwei Reuters-Journalisten durch US-Soldaten im Jahre 2007.
Kürzlich erst hat WikiLeaks die Verbindungen des sogenannten Westens mit dem reaktionären Regime von Assad in Syrien aufgedeckt. WikiLeaks ist keine sozialistische oder proletarische Organisation, sondern vielmehr eine radikale kleinbürgerlich-demokratische Medienorganisation. Durch die Arbeit von WikiLeaks wurden die Interessen des US-Imperialismus und vieler anderer bürgerlicher Regierungen weltweit angegriffen. Damit hat WikiLeaks den vereinten Hass all dieser Staaten zugezogen sowie auch deren Versuche die Organisation wie auch ihrer führenden Figur, Assange persönlich, aus dem Verkehr zu ziehen. Somit waren und sind die Aufdeckung imperialistischer Grausamkeiten, Verbrechen und Intrigen ein Verdienst der Aktivitäten von WikiLeaks und hilfreich für den Kampf unserer Klasse, der ArbeiterInnenklasse, gegen unseren Klassenfeind international – die herrschenden Kapitalistenklassen.
3. Die ins fanatische gehenden Versuche der Imperialisten, Julian Assange endlich aus dem Verkehr zu ziehen, wurden in den letzten Wochen ganz besonders offensichtlich. Während die britische Regierung auf der einen Seite keine Sekunde daran dachte, den chilenischen Ex-Diktator und Massenmörder Augusto Pinochet auszuliefern, erwägt sie ohne zu zögern den noch nie zuvor dagewesenen Akt der Stürmung der Botschaft Ecuadors und damit der massiven Verletzung der nationalen Souveränität Ecuadors.
Das ist eines der Beispiele die aufzeigen, dass die Verteidigung von Julian Assange ein fortschrittlicher Kampf in doppelter Hinsicht ist – in demokratischer als auch in antiimperialistischer. Die ArbeiterInnenbewegung muss daher die kleinbürgerlich-fortschrittliche Medienorganisation WikiLeaks gegen die Attacken der imperialistischen Regierungen verteidigen und im selben Ausmaß auch die Verteidigung halbkolonialer Länder wie Ecuador gegen Angriffe eben dieser imperialistischen Regierungen anführen.
4. Zentristische Organisationen in Großbritannien wie die SWP, die AWL oder Gruppen wie das ACI haben sich neben kleinbürgerlichen Medienberühmtheiten wie Owen Jones der Tory Regierung in ihrem Bestreben einer Auslieferung von Assange an Schweden angeschlossen. Das ist nichts anderes als die totale Kapitulation vor dem Druck der herrschenden Klasse ihres Landes. Ihre blutarme Erklärung dafür lautet, dass die Vorwürfe der Vergewaltigung die gegen Assange erhoben werden „Ernst genommen werden sollen“.
5. Dabei müsste man entweder vollkommen naiv und dumm oder ein bewusster Lügner sein um folgende Fakten beiseite zu wischen:
a) Eine bewiesene Tatsache ist, dass die US-Regierung insgeheim eine abgeschlossene Anklage gegen Assange vorgebracht hat und alles dran setzt, ihn in die USA und damit hinter Gittern zu bringen, damit er ein für alle Mal zum Schweigen gebracht wird.
b) Es ist eine bewiesene Tatsache – an die Öffentlichkeit gebracht durch die Aufdeckung interner Kommunikationen diverser Diplomaten – dass „WikiLeaks das Ziel einer ‚noch nie dagewesenen‘ durch die US-Regierung geführten Kriminalermittlung ist“. Ein jeder mit nur etwas Verstand weiß, dass die US-Regierung dabei jede – somit auch die schwedische – Regierung unter Druck setzt, dabei zu helfen Assange endlich zu schnappen.
c) Es ist vollkommen bizarr wie angebliche Marxisten vergessen oder wohl eher vergessen wollen, dass die schwedische Regierung ebenso wie ihre Rechtsprechung nicht neutral ist, sondern einen Klassencharakter hat: Nämlich einen Bürgerlichen und Imperialistischen. Zu glauben, dass die schwedische Regierung objektive Untersuchungen der Anklagepunkte gegen Assange vornehmen würde, ist unbeschreiblich dümmlich! Die schwedische Regierung kümmert sich keinen Deut um die Verteidigung und den Schutz von Frauen oder von Frauenrechten – egal was sie darüber behaupten. Das vollkommene Gegenteil ist die Realität: Die schwedische Regierung ist Teil des System, dass Frauen so massiv unterdrückt. Wissen diese „Linken“ denn nicht, dass der angeblich so auf das Recht der Frauen fokussierte schwedische Staat es niemals wagte, auch nur anzudenken Ermittlungen gegen König Gustav einzuleiten?! Dieser König war (und ist?), laut dem Buch „The Reluctant Monarch”, Dauergast in Stripclubs, bei von Kriminellen organisierten Sex-Partys und anderen widerlichen Veranstaltungen. Wissen sie denn nicht, dass der schwedische Geheimdienst Sapo systematischen Druck auf die Frauen ausgeübt hat, die unfreiwillige Opfer des schwedischen Königs wurden, sämtliche Beweismittel wie Fotos und Videos abzugeben?!
Und ein solch reaktionärer, gegen Frauen gerichteter Staatsapparat wie der schwedische soll objektive Untersuchungen zum Fall Assange vornehmen, der zu den verhasstesten Personen in den Kreisen der meisten herrschenden Klassen weltweit gehört?
d) Der Anklagefall gegen Assange ist eindeutig eine politisch motivierte Falschanschuldigung. Jedem halbwegs vernünftigen Menschen müsste es doch verdächtig erscheinen, dass die Vorwürfe der Vergewaltigungen gegen Assange im August 2010 erhoben wurden, unmittelbar (!) nachdem WikiLeaks tausende an geheimen Verbindungen und Informationskanälen der USA zu den Kriegen in Afghanistan und Irak öffentlich machte und damit auch die Verleumdungen und Aufschreie der westlichen Mächte an sich zog. Die Beweislage gegen Assange war so schwach, dass die Anklagepunkte von der schwedischen Justiz ursprünglich fallengelassen werden mussten. Die zuständige Staatsanwältin Eva Finné meinte damals: „Ich denke nicht, dass es irgendeinen Grund gibt anzunehmen, dass er tatsächlich einer Vergewaltigung schuldig ist.“ Der Fall wurde wieder aufgegriffen nachdem (!) schwedische Politiker dahingehend intervenierten. Ein Haftbefehl wurde gegen Assange im Dezember 2010 erlassen, unmittelbar (!) nachdem WikiLeaks begonnen hatte die Geheimverbindungen der US-Botschaften bekannt zu machen und damit noch mehr Lügen und Verbrechen dieser Institutionen aufzudecken. Wie kann man nur diese so offensichtliche Verbindung zwischen den Ereignissen rund um die Anklage und der Wahrung der politischen Interessen der herrschenden Klassen leugnen?!
e) Wie kann es sein, dass keine dieser britischen Linken misstrauisch wurde bei der Tatsache, dass der ehemalige Berater des US-Präsidenten Bush, Karl Rove, auch als Berater der in Schweden amtierenden Partei Moderaterna fungierte?! Wie kann es sein, dass es sie nicht mißtrauisch macht, dass der Anwalt, der die Seite der Anklage gegen Assange vertritt, in der Anwaltskanzlei Borgström und Bodström arbeitet, in der Thomas Bodström einer der Partneranwälte ist, und zufälligerweise auch der frühere schwedische Justizminister ist?! Und das eben dieser Bodström auch der CIA im Jahre 2001 mit einer Genehmigung auf Auslieferung geholfen hat, um zwei Asylwerber von Schweden nach Ägypten zu bringen, wo sie gefoltert wurden?!
f) Wie können bloß sogenannte „Anti-KapitalistInnen“ das simple Faktum vergessen, dass jede herrschende Klasse der Welt auch ihren Geheimdienst dafür bezahlt, regelmäßige Verschwörungen und falsche Anklagen zu kreieren?! Ist es nicht mehr als offensichtlich, dass ebendiese Geheimdienste auch jetzt genutzt werden von den kapitalistischen Staaten, um ihren sehnlichen Wunsch Assange endlich mundtot zu machen in Erfüllung gehen zu sehen?!
g) Die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange sind für sich genommen höchst dubios, wie auch schon eine sehr bekannte liberale Feministen aus den USA, Naomi Wolf feststellte. Sie schlussfolgerte: „Basierend auf meinen Erfahrungen aus 23 Jahren der Berichterstattung über die internationale Gesetzeslage zu Vergewaltigungen und meinen fünf Jahren Erfahrung in der Unterstützung vergewaltigter Frauen in Krisenzentren und Frauenhäusern, kann ich eindeutig sagen, dass dieser Fall nicht so behandelt wird wie es bei Vorwürfen der sexuellen Übergriffe oder Vergewaltigungen üblich ist.“ (Naomi Wolf: Something Rotten in the State of Sweden: 8 Big Problems with the ‘Case’ Against Assange, http://markcrispinmiller.com/2011/02/eight-big-problems-with-the-case-against-assange-must-read-by-naomi-wolf/)
Ähnliche Einschätzungen treffen Katrin Axelsson und Lisa Longstaff von der Kampagne “Frauen gegen Vergewaltigung”, die sich zu den dubiosen Anschuldigungen gegen Assange klar ablehnend äußerten: „Es erscheint jetzt noch offensichtlicher, dass die Anklagen gegen ihn eine undurchdringliche Rauchfassade darstellen hinter denen eine Reihe von Regierungen stecken, die sich bemühen WikiLeaks zur Strecke zu bringen weil eben diese die zahlreichen Geheimpläne und –projekte für Kriege und Besatzungen aufdeckte, die eben Vergewaltigung, Mord und Zerstörung bedeuten.“ (Katrin Axelsson and Lisa Longstaff: We are Women Against Rape but we do not want Julian Assange extradited, guardian.co.uk, 23rd August 2012 http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/aug/23/women-against-rape-julian-assange). Diese ehrlichen DemokratInnen und Liberalen zeigen sich fortschrittlicher als ein Großteil der zentristischen Linken Großbritanniens.
h) Wenn der schwedische Staat tatsächlich ausschließlich an der Aufklärung der Anklagepunkte interessiert wäre, wie er es behauptet,und keinerlei Interesse an einer sofortigen Inhaftierung von Assange hat – warum hat die schwedische Regierung dann nicht schlichtweg schwedische VertreterInnen nach London geschickt, die eine Befragung vornehmen können?!
i) Natürlich kann niemand ausschließen, dass sich Julian Assange tatsächlich schuldig gemacht hat. Doch der Staatsapparat der herrschenden Klassen, – sei es in Schweden, Großbritannien oder den USA – der danach lechzt Assange endlich zum Schweigen zu bringen, ist eindeutig NICHT die Institution, die darüber richten sollte. Keine demokratisch bewusste, ernsthafte Person würde je darauf vertrauen, dass diese Institutionen tatsächlich zu einem objektiven Urteil kommen würden. Unter den gegebenen Umständen scheint ein Exil in Ecuador das Beste zu sein. Eine unabhängige, internationale Kommission, bestehend aus VertreterInnen der ArbeiterInnen- und Frauenorganisationen sollte die Untersuchungen der Anklagen gegen Assange vornehmen.
6. Die Aufgabe der ArbeiterInnenbewegung und aller fortschrittlichen Kräfte heute ist es eindeutig, Julian Assange zu verteidigen und sämtlichen Versuche der imperialistischen Regierungen Assange und WikiLeaks zum Schweigen zu bringen abzuwehren. Deswegen stellt sich die RCIT gegen die Versuche der britischen Regierung Assange an Schweden auszuliefern. Deswegen sollte niemand, der auch nur ein Fünkchen Verstand hat, dem schwedischen Staatsapparat trauen.
Deswegen stehen wir gegen die Forderungen derjenigen kleinbürgerlichen Organisationen der „Linken“, die sich in ihrer Praxis der imperialistischen Hetzjagd anschließen indem sie fordern, dass Assange sich „freiwillig“ stellen soll. Der Kampf der Verteidigung von Assange und der Verteidigung Ecuadors gegen den Druck der britischen Imperialisten ist eine Pflicht für jeden Anti-Imperialisten und jede Anti-Imperialistin. Es erfordert die absolute Unterstützung aller ArbeiterInnenbewegungen sowie fortschrittlichen Kräfte weltweit.