Zugunfall in Spanien – Sicherheit vs. Profit

Von Marc Hangler

 

Am Mittwoch 24.07. fand einer der schlimmsten Unfälle in der spanischen Eisenbahngeschichte statt. Derzeit wird offiziell von ungefähr 80 Toten berichtet. Über den Zugführer (Francisco Garzón) bricht gerade ein furchtbares Gewitter ein, an Schuldzuweisungen, Entzug der Fahrerlaubnis und schließlich Haft. Während die Eisenbahngesellschaft offensichtlich immer mehr ihre Sparmaßnahmen an ZugarbeiterInnen und Fahrgäste weitergibt, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, wird Francisco der fahrlässigen Tötung beschuldigt.

 

Wie ist der Unfall genau passiert?

 

Die Informationen, die bis jetzt über den Unfall bekannt sind, lassen sich folgendermaßen zusammen fassen: Mittwochnacht fuhr der Zug nach Santiago de Compostela, das Ende des Jakobsweges und daher einer viel besuchten christlichen Pilgerstätte. Er führte 218 Passagiere und befand sich ca. 4 Kilometer vom Bahnhof in Santiago entfernt als er in einer gefährlichen Kurve aus den Gleisen sprang und sich hart überschlug. Die gefährliche Kurve erlaubt normalerweise ein Tempo von 80 km/h, der Zug fuhr aber mit 153 km/h in die Kurve, weswegen er aus der Kurve sprang. Während man schon von ungefähr 80 Toten weiß, mussten beinahe alle anderen Passagiere ins Krankenhaus. Am Sonntag dem 28.07. befanden sich noch 21 in einem kritischen Zustand. Die Gleisstrecke nach Santiago sieht einen Streckenverlauf vor, bei dem der Wechsel von Hochgeschwindigkeitsstrecke auf Normalstrecke absolut ungeeignet verläuft. (1)

 

Die Antwort auf die Frage „Wie ist der Unfall genau passiert?“ lautet: Das ist noch nicht öffentlich bekannt. Die sogenannte „Black Box“, das Gerät, das alle Werte des Zuges wie zum Beispiel Geschwindigkeit, Bremsung usw. aufzeichnet, wurde noch nicht ausgewertet. Trotzdem war der Innenminister schon am Wochenende bereit zu melden, dass die Beweise ausreichen um den Zugführer der fahrlässigen Tötung zu beschuldigen. (2) Francisco wurde übrigens bereits am Donnerstag im Krankenhaus fest genommen.

 

Wer ist schuld?

 

Der Fahrer des Zuges wird von vielen bürgerlichen Zeitungen mit Sprüchen wie „Ich habe es vermasselt, ich möchte sterben." zitiert. (3) Tatsächlich wird Francisco von Kollegen und Nachbarn viel eher als verantwortungsvoller und vorsichtiger Fahrer beschrieben – umso schwerer muss es ihn daher treffen, wenn er für so einen Unfall zur Verantwortung gezogen wird. Der Druck, der von den Behörden und den Medien gemacht wird und auf diesem erfahrenen, ehrlichen Arbeiter lastet, ist unvorstellbar hoch. Wie schwer ist es daher „allen“ zu widersprechen und die Schuld nicht bei sich selbst zu suchen. Kollege Garzón kann diese Aufgabe nicht alleine schaffen – es ist die Aufgabe der Arbeiterbewegung diese Schmutzkampagne zu bekämpfen! Die Revolutionär Kommunistische Internationale Tendenz (RCIT) steht daher im Fall des Zugunglücks und der Aufklärung des Vorfalls in uneingeschränkter Solidarität mit dem Kollegen Garzón und der Lokführer-Gewerkschaft und verteidigt sie gegen alle Anschuldigungen der spanischen Regierung und der Eisenbahninfrastruktur-Behörde.

 

Die Verkehrsministerin von Spanien, Ana Pastor, weißt jeden Vorwurf bezüglich der mangelnden Sicherheit zurück, alle Sicherheitsvorkehrungen nach spanischen und europäischen Standards werden erfüllt – sie meint: „Auch die Arbeiter müssen sich an die Vorschriften halten“. Die Eisenbahninfrastruktur-Behörde Adif spricht genauso gegen den Zugführer: Alle Sicherheitssysteme hätten funktioniert und es wäre die Aufgabe des Fahrers die Geschwindigkeit zu kontrollieren.

 

Was ein Fahrer kann, was die Technik kann

 

Der Fahrer aber kann nur bis zu einem begrenzten Grad alleine entscheiden, wann und wie schnell er abbremsen muss. Vor allem bei Zügen, die mit Hochgeschwindigkeit fahren, wie es bei dem Unfall war, ist es für das menschliche Auge unmöglich zu erkennen wo sich eine mögliche Markierung, als Signal zum Abbremsen, auf der Seite der Gleise befindet. Ein Problem, auf dass auch Kollege Garzón hingewiesen hat (trotz seiner Neigung, die Schuld nur bei sich selbst zu suchen, konnte er sich bei diesen Hinweis nicht zurück halten).

 

Unfassbar viele Zeitungen, die nicht müde wurden über den Fall und die Tragödie die angeblich ein einziger Mensch ausgerichtet hat zu berichten, schreiben seit einigen Tagen über das Telefonat, das der Lokführer mit einem Kollegen hatte. Natürlich steht es ihnen fern, über den Sinn des Gespräches zu berichten. Was kann man denn auch von Zeitungen, die kapitalistischen Konzernen gehören und von den bezahlten Anzeigen anderer Konzerne leben auch anderes erwarten?! Während sich einige, außer die Schmutzblätter, dazu bereit erklären das Gespräch als Arbeitsgespräch zu beschreiben (es wurde dabei eine Strecke besprochen) schafft es keine Zeitung offen zu sagen, dass Kollege Garzón zu Recht telefonierte! Es war ein Arbeitsgespräch und daher Teil der Arbeit, die er als Lokführer zu tun hatte. Jede einzelne Zeitung lässt aber – wohl eher bewusst als unabsichtlich – die Frage ob es sinnvoll war das Gespräch zu führen offen, und spielt damit der spanischen Regierung und der Justiz in die Hände, die alles daran setzen den Unfall durch Unfähigkeit und Verantwortungslosigkeit (Kollege Garzón wird die fahrlässige Tötung von 79 Menschen vorgeworfen) zu erklären. Eine sehr wichtige Frage ist daher: Wer soll über die Schuld entscheiden? Offensichtlich nicht die selben Behörden, die es den ZugarbeiterInnen immer schwerer machen und ihnen dann die Schuld zu schieben. Offensichtlich nicht die Gerichte, die scheinbar alleine gegen einen einzelnen Lokführer ermitteln, und sonst wenig Probleme sehen. Und offensichtlich nicht die selben Zeitungen, die nicht müde werden die Meinung der Regierung und der Behörden zu unterstützen. Über die Schuld entscheiden können nur diejenigen, die betroffen sind und betroffen sein können. Das bedeutet, dass ArbeiterInnen und Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, als Beispiel die Lokführergewerkschaft, sowie die Betroffen und Angehörigen entscheiden müssen wer Schuld ist und was getan werden muss, um den Schaden zu beheben.

 

Jeder vernünftige Mensch, egal ob Eisenbahner, Beamter oder normale Arbeiterin, wird zustimmen müssen, dass es bei so schnellen, so hoch entwickelten Transportmitteln notwendig ist, ein sehr starkes Vertrauen in die technischen Sicherheitsvorkehrungen zu legen. Vor allem müssen gut entwickelte Systeme verwendet werden, um angemessene Sicherheit zu garantieren. Und damit kommen wir zur entscheidenden Frage: Ist es einzig und alleine die Aufgabe das Fahrers die Geschwindigkeit zu kontrollieren? Jede Behauptung über die Schuld des Fahrers geht davon aus, dass er die Hauptverantwortung über den Bremsvorgang tragen sollte – und diese Annahme ist falsch. Laut der spanischen Lokführer-Gewerkschaft wäre der Unfall vermeidbar gewesen, wenn man die Gleise mit der Europäischen Schienenverkehr Steuerung (ERTMS) ausgestattet hätte, welche automatisch bremst, wenn der Zug zu schnell fährt, so wie es bei anderen spanischen Bahnverbindungen schon der Fall ist. (4) Es ist demnach die Schuld der Regierung, bzw. des Verkehrsministeriums und der Unternehmer im Transportgeschäft, wenn hier Fehler passieren!

 

Nicht der erste und wohl auch nicht der letzte Unfall durch Profitgier

 

Letztlich überrascht dieser traurige Unfall wenig, denn er ist nur ein Glied in einer endlos langen Kette an schweren Unfällen im Transportwesen, die durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen passierten. Diese Unfälle werden gerne auf den „Fehler Mensch“ zurück geführt, doch gerade der Fall in Santiago zeigt, was die Weigerung, der spanischen Regierung die ERTMS überall einzuführen, verursachen kann. Für uns aus der Arbeiterklasse ist Sicherheit eine Frage von Leben oder Tod, für Unternehmer ist es eine Frage von Gewinn oder Verlust.

 

Wir müssen alles daran setzten um diese Unfälle zu vermeiden. Aber wir müssen gleichzeitig einsehen, dass es immer wieder – egal wie sehr wir uns anstrengen – zu Unfällen, sogar schweren Unfällen kommen wird, wenn Sicherheit eine Frage von Profit ist. Diese Grundlage ist im Kapitalismus gegeben und wird nur endgültig durch den Sozialismus abgeschafft.

 

* Sofortiger Stopp der Untersuchungen gegen Kollegen Francisco Garzón! Für ein unabhängiges Gericht, ein ArbeiterInnentribunal, aus Arbeitern des Zugtransports, der Arbeiterorganisationen wie den Gewerkschaften, und der Betroffenen und Angehörigen! Sie sollen den Unfall unabhängig untersuchen!

 

* Sofortiges Ausstatten aller Bahnverbindungen in Spanien mit dem neuen ERTMS!

 

* Umfassende Entschädigung durch die spanische Regierung für alle Verletzten und alle Hinterbliebenen und Angehörigen, die durch gesundheitliche Probleme, Arbeitsunfähigkeit usw. beeinträchtigt werden!

 

* Für ein rein staatliches Transportwesen unter Kontrolle der Arbeiterinnen und Arbeiter und vertrauenswürdigen Sicherheitsexperten!

 

 

 

Fußnoten:

 

(1) Siehe Artikel auf derstandard.at vom 29.07. „Die Lokführer-Gewerkschaft Semaf […] erklärte, das Sicherheitssystem kurz vor Santiago beim Übergang von der Hochgeschwindigkeits- auf die Normalstrecke sei ungeeignet.“(http://derstandard.at/1373513956043/Lokfuehrer-des-verunglueckten-Zugs-in-Spanien-raeumt-Fehler-ein , 29.07.2013)

 

(2) Siehe Artikel auf guardian.co.uk vom 28.07. „Spanish interior minister, Jorge Fernandez, said at the weekend there was sufficient evidence to charge Garzon with reckless homicide […].“ (http://www.guardian.co.uk/world/2013/jul/28/spanish-train-crash-driver-face-judge, 29.07.2013)

 

(3) Siehe http://derstandard.at/1373513956043/Lokfuehrer-des-verunglueckten-Zugs-in-Spanien-raeumt-Fehler-ein (29.07.2013)

 

(4) Siehe „Spain’s Train Drivers’ Union reported that the accident “could have been avoided” had the track been fitted with the European Rail Traffic Management System (ERTMS), which automatically applies the brakes if the train is going to fast, as it has across Spain’s other hi-speed rail links.“(http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/spain/10204017/Spain-train-crash-Driver-said-afterwards-he-wanted-to-die.html, 29.07.2013)