Von Nina Gunić
Die Welt ist ins Schwanken geraten. Erschüttert von der schwersten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren erlebte sie mit 2007/8 die Geburt einer neuen geschichtlichen Phase. Die welthistorisch revolutionäre Periode, in der wir uns befinden, lässt Millionen von Menschen die hässliche Fratze des Kapitalismus deutlich erkennen.
Von Tunesien über Ägypten bis Syrien und Jemen – den arabischen Raum erfasste eine revolutionäre Bewegung, die nicht spurlos an Europa vorbeiziehen konnte. So hat auch Spanien seit wenigen Wochen eine eigene Version des „Tahrir Platz“: den Platz der Sonne (Puerto de Sol) in Madrid. Tausende campieren am Platz, um sich gegen die Sparpolitik der Regierung, gegen den Einfluss der Banken und Konzerne sowie für eine „neue, richtige Demokratie“ einzusetzen.
Michael Pröbsting, Sprecher der RKOB, schrieb schon vor zweieinhalb Jahren zu Beginn der kapitalistischen Krise: „Doch sie (die herrschende Klasse, Anm. der Red.) wissen, daß ihr System in eine tiefe Krise schlittert. Nicht nur wirtschaftlich, auch politisch und ideologisch ist der Kapitalismus erheblich angeschlagen. All die Phrasen, mit denen wir in den letzten Jahrzehnten überschüttet wurden, erweisen sich nun für Millionen Menschen ersichtlich als Schall und Rauch.“ Es war also nur eine Frage der Zeit bis diese Erkenntnis der Massen auch in Massenproteste umschlägt.
Forderung nach echter Demokratie
Die Protestbewegung in Spanien ist in erster Linie eine Bewegung für „mehr Demokratie“. Sie spricht sich nicht klar gegen das System des Kapitalismus aus, sondern hebt besonders die Korruptheit der eigenen politischen Spitzen hervor. Die Massen am Puerto de Sol fordert eine „richtige Demokratie“. Wie das bei spontanen Massenbewegungen in der Regel der Fall ist, sind die politischen Ziele sehr allgemein gehalten. Es fehlt an einer klaren Strategie zur Erreichung der gewünschten „richtigen Demokratie“ sowie ihrem genaueren Inhalt.
Der Charakter der gesamten Bewegung ist unter anderem von den Prinzipien der Basis-Demokratie geprägt. Als Gegenreaktion auf die abgehobene Politik der kapitalistischen Regierung werden Entscheidungen am Platz ausschließlich kollektiv mittels Abstimmungen aller Anwesenden getroffen. Als erwünscht gelten alle, die sich solidarisch zeigen – unabhängig von der eigenen Stellung im System. Angestrebt werden vor allem pazifistische („friedliche“) Aktionen wie Sitzstreiks. Die Enttäuschung über die bürgerliche Politik der Parteien und der Gewerkschaften prägt diese Bewegung besonders stark. Dementsprechend groß ist die Feindseligkeit gegen jede Form von Organisierung. Wer zu einer Partei gehört oder einer Gewerkschaft, darf ausschließlich als „Privatperson“ auftreten. Der Puerto de Sol wirkt wie eine eigene kleine Welt: Zeltlager und blaue Planen als Schutz gegen Regen wurden aufgespannt, Möbelstücke wurden auf den Platz gebracht, Kochplätze und Kinderbetreuungsstätte sowie chemische Toiletten ermöglichen einen dauerhaften Aufenthalt am Platz.
Auch auf anderen Plätzen in Spanien hat sich eine Protestbewegung entwickelt. Auf der Plaza de Cataluña in Barcelona kam es zu mehrmaligen Sitzstreiks dutzender AktivistInnen. Neben Barcelona und Madrid gab es in rund 80 Städten (!) Spaniens Proteste – allen voran sind es die Jugendlichen, die auf die Straße gehen. Seit der Wirtschaftskrise und dem massiven Abwälzen dieser auf den Schultern der spanischen Bevölkerung ist die Jugendarbeitslosigkeit teilweise auf 50% angewachsen. Ähnlich wie dies schon in Tunesien und Ägypten der Fall ist, wurden auch in Spanien viele Jugendliche durch Aufrufe über Facebook und Twitter mobilisiert. Eine weitere Ähnlichkeit zu der revolutionären Bewegung in Nordafrika ist, dass die Proteste Spaniens über die eigene Landesgrenze hinausgewachsen sind. Tausende waren auch in Griechenland auf der Straße und haben mit Bezugnahme auf Spanien in Athen als auch in Thessaloniki und anderen kleineren Städten protestiert und Plätze besetzt.
Die Grenzen der Protestbewegung
Eindeutig kann man von einer beeindruckenden Protestbewegung reden, die sich entwickelt hat. Eindeutig ist ein großes Potential dieser Bewegung zu erkennen. Eindeutig sind aber auch die Grenzen der Bewegung erkennbar. Die massive Ablehnung jeglicher Organisierungsformen in der spanischen Bewegung, die Wegorientierung von Streikmaßnahmen der griechischen Proteste sind zwar erklärliche aber auch politisch gefährliche Entwicklungen. Die über Jahrzehnte hinweg geführte bürgerliche Politik der Gewerkschaften wie auch der ArbeiterInnenparteien dieser Länder ist der Boden für die Ablehnung beider Organisationsformen durch die Massen – allen voran durch die Jugend. Seit nun mehr drei Jahren wird die Weltwirtschaftskrise massiv auf den Schultern der ArbeiterInnen und Jugendlichen abgewälzt, während die Gewerkschaften (wenn überhaupt) nur unzureichende Proteste dagegen organisieren.
Griechenland sah allein letztes Jahr fünf Generalstreiks, zu denen die Gewerkschaften aufgerufen hatten. Doch diese waren eintägige bzw. befristete Streiks. Die ArbeiterInnen hätten sich in selbst organisierten Aktionskomitees zusammenschließen müssen, um die Streikbewegung von der Basis aus zu organisieren und den unbefristeten Generalstreik möglich zu machen. Denn genau dazu war die Führung der Gewerkschaft in ihrer realen Anbiederung an die herrschende Klasse nicht bereit. Eine solche Kampfmaßnahme der ArbeiterInnen, unterstützt durch die noch in Ausbildung steckende bzw. arbeitslose Jugend und anderer unterdrückter Schichten der Bevölkerung hätte eine höhere Stufe des Kampfes eingeläutet. Eine Stufe, die notwendigerweise ergriffen werden muss um die Angriffe abzuwehren und die Ursache der massiven Weltwirtschaftskrise – das kapitalistische System – in seinen Grundfesten zu erschüttern. Ein unbefristeter Generalstreik könnte auch letztlich das Szenario zur Folge gehabt, vor dem die herrschende Klasse weltweit seit Beginn der Krise zittert: Dem Bürgerkrieg.
Erst kürzlich warnte einer der Vordenker der Bourgeoisie, der deutsche Ökonom und Chef des Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn, vor der Gefahr, daß Griechenland „an den Rand des Bürgerkrieges geratet“.
Doch genau diese Form des Klassenkampfes zwischen der herrschenden Klasse und den ArbeiterInnen, der Bürgerkrieg, der bewaffnete Aufstand ist es, den auch die Spitzen der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenparteien am meisten fürchten.
In ihrer Rolle als Führung der griechischen Streikbewegung haben sie daher auch versagt. Damit haben sie der Bewegung der griechischen ArbeiterInnenklasse einen Dolch in den Rücken gerammt und den Weg der Schwächung der Streikbewegung vorbereitet. Wenn sich die ArbeiterInnen Griechenlands über die Machtlosigkeit der Generalstreiks enttäuscht zeigen, ist das mehr als nachvollziehbar. Wenn den Jugendlichen Griechenlands die Proteste in Spanien, die von Basisdemokratie und einer Ablehnung jeglicher Organisiertheit geprägt sind als attraktiv erscheinen so haben das die VerräterInnen an der Spitze der griechischen und spanischen Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien zu verantworten.
Doch die Grenzen der Basisdemokratie und des „friedlichen Protestes“ sind eng gesteckt und werden ebenso die Niederlage der Bewegung bedeuten, wenn sie nicht gesprengt werden.
Perspektiven der Bewegung
Um die Krise ein für alle Mal zu beenden muss die Ursache der Krise zerschlagen werden: Der Kapitalismus. Gerade die Streikbewegung Griechenlands birgt wichtige Lehren für den Klassenkampf, die es richtig umzulegen gilt. Tatsächlich gilt: Kein Vertrauen in die derzeitige Führung der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenparteien. Bis zu diesem Punkt haben die Massen, die auch in Spanien protestieren, richtig geschlussfolgert.
Doch nur weil eine Axt zu verrostet ist, um damit Holz zu hacken, sollte nicht geschlussfolgert werden dass man mit den bloßen Händen mehr erreichen kann als mit jeder Art von Axt. Wenn die Führung eine unbrauchbare ist, heißt es nicht, dass ohne jede Form von Organisierung, ohne jede Form von Führung gekämpft werden soll. Vielmehr muss die Organisierung durch die ArbeiterInnen und Jugendlichen an der Basis erfolgen.
Die Gründung von Streikkomitees an der Basis um einen unbefristeten Generalstreik in Spanien als auch in Griechenland zu organisieren, muss der nächste Schritt im Kampf gegen das System sein. Solche Streikkomitees gehen mit Massenversammlungen einher, die ihre Delegierten direkt demokratisch wählen und sie jederzeit wieder abwählen kann. Umso wichtiger, dass es dabei keinerlei Gewerkschafts- oder Parteienverbot gibt. Alle anwesenden Parteien- und GewerkschaftsvertreterInnen sollen sich im Gegenteil als solche vorstellen müssen, um die Strategien ihrer jeweiligen Organisationen für die Massen sichtbar zu machen. Das ist für VerräterInnen an der Bewegung ein viel härteres Pflaster als wenn sie sich hinter angeblichen „persönlichen Meinungen“ verstecken können.
Die Komitees sind Delegiertenstruktur unter direkter Kontrolle der Massen, aus ihren eigenen Reihen gewählt. Sie sollen die landesweite und in Folge auch europaweite Vernetzung möglich machen. In weiterer Folge stellen sie die Keimform von Räten (russisch: Sowjets) dar, die auf einer höheren Ebene des Kampfes eine Gegenmacht zu den kapitalistischen Regierungen darstellen.
Der russische Revolutionär Vladimir Lenin meinte dazu: „‘Die Macht den Sowjets‘, das bedeutet die radikale Umgestaltung des ganzen alten Staatsapparats, dieses Bürokratenapparats, der alles Demokratische hemmt, das bedeutet, diesen Apparat zu beseitigen und durch einen neuen, einen Apparat des Volkes zu ersetzen, d.h. durch den wahrhaft demokratischen Apparat der Sowjets, d.h. der organisierten und bewaffneten Mehrheit des Volkes, der Arbeiter, Soldaten und Bauern, das bedeutet, der Mehrheit des Volkes Initiative und Selbständigkeit zu gewähren, nicht nur bei der Wahl von Deputierten, sondern auch bei der Verwaltung des Staates, bei der Durchführung der Reformen und Umgestaltungen.“
Will die Bewegung Spaniens also ernsthaft eine „richtige Demokratie“ erkämpfen, kommt sie an den Sowjets ebenso wenig vorbei wie an dem Bürgerkrieg gegen die herrschende Klasse. Sie braucht die organisierte ArbeiterInnenschaft, die dem Herz des kapitalistischen Systems – ihrer Wirtschaft – mittels des unbefristeten Generalstreiks den Todesstoß versetzen kann. Dazu muss sich die jetzige Protestbewegung auf der Puerto de Sol, auf der Plaza de Cataluña, usw. mit der ArbeiterInnenklasse im Kampf verbrüdern und die Besetzung der Betriebe mittels aktiver Streiks, organisiert durch Komitees der ArbeiterInnen, vorantreiben. Mitte Mai haben die ArbeiterInnen in Barcelona gegen die Kürzungen im Gesundheitswesen, wie auch in der Bildung demonstriert. 200.000 Menschen, hauptsächlich von den Gewerkschaften organisiert, waren dabei auf der Straße. Ein Schulterschluss dieser ArbeiterInnen mit den protestierenden Jugendlichen, die davor noch die Plaza de Cataluña besetzen wollten, kann ein erster Schritt dahin sein.
Revolutionäre Partei von höchster Bedeutung
Schmerzlich ist klar, dass eine revolutionäre Führung der Bewegung in Spanien (wie auch Griechenland) fehlt. Eine solche revolutionäre Führung ist notwendig, um auf den Lehren der ArbeiterInnenbewegung der letzten 160 Jahre aufbauen zu können. Andernfalls werden die Fehler der Vergangenheit wiederholt, die Klasse der ArbeiterInnen und Unterdrückten erneut in die Niederlage, und damit in ihr eigenes Verderben geführt. Die Geschichte sah schon viele revolutionäre Bewegungen. Der Kampf gegen den Kapitalismus hat eine lange Tradition.
Der Aufbau einer revolutionären Partei, die sich aus den fortschrittlichsten Teilen der ArbeiterInnen, der Jugendlichen und anderer Unterdrückter zusammensetzt, ist heute wichtiger denn je. Eine solche Partei kann jetzt zum Beispiel auch auf den Boden der Bewegung in Spanien, wie auch in Griechenland, aufgebaut werden. Sie kann zu einem lebenden Instrument des Klassenkampfes werden, um die Feinde und Verräter an den Interessen der ArbeiterInnen und Jugendlichen zu benennen, ihr die richtigen Kampfschritte aufzuzeigen und sie letztenendes auch für Organisierung des Bürgerkrieges, dem Sturz des kapitalistischen Systems und des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft, einer Gesellschaft der „richtigen Demokratie“ zu befähigen. Dafür kämpfen wir von der RKOB!
Gerade jetzt gilt:
Keine Zukunft ohne Sozialismus!
Kein Sozialismus ohne Revolution!
Keine Revolution ohne revolutionäre Partei!
Zitate:
Michael Pröbsting: Einem politischen Umbruch entgegen! in: BEFREIUNG Nr. 170, November 2008
V.I. Lenin: Eine der Kernfragen der Revolution; in: Lenin Werke, Band 25, Seite 380
Sonstige Quellen:
http://www.jungewelt.de/2011/05-16/049.php
http://www.wienerzeitung.at/default.aspx?tabID=3862&alias=wzo&cob=563708
http://www.faz.net/artikel/C30351/proteste-in-spanien-das-antisystem-sind-die-anderen-30337781.html
http://www.faz.net/artikel/C31325/spanien-in-der-parallelwelt-der-empoerten-30337744.html
http://www.faz.net/artikel/C30351/proteste-in-spanien-handbuch-der-ueberrumpelung-30344906.html