Proteste gegen Sparpaket in Frankreich

Anmerkung der Redaktion: Unsere Organisation RKOB wurde von Mitgliedern, die vormals in der Liga für die Fünfte Internationale (LFI) organisiert waren gegründet. Den folgenden Text  zählt RKOB somit zu ihrem programmatischen Erbe.

Von Alexander Wiener (aus: BEFREIUNG Nr. 192, November 2010)

http://www.sozialistische-revolution.org/

Frankreich zeigt vor, wie man kämpft! In den letzten Wochen gab es massive Proteste gegen das Sparpaket der Sarkozy Regierung in Frankreich. Es protestierten SchülerInnen, die ArbeiterInnen der Ölraffinerie streikten, und Millionen gingen auf die Straße. Seit zwanzig Jahren haben nicht mehr so viele Franzosen gestreikt wie am 12. Oktober. All das zeigt uns, welche Methoden des Widerstandes gegen das Sparpaket ergriffen werden können. Falls wir in Österreich nicht bald ähnliche Schritte setzen, wird uns das Sparpaket mit voller Härte treffen.

Der Hauptpunkt des Sparpakets in Frankreich ist die Anhebung des Pensionseintrittsalters um 2 Jahre. Dies bedeutet, dass die Frühpension mit Abstrichen nicht mit 60 sondern erst mit 62 und die Vollpension erst mit 67 statt mit 65 angetreten werden kann. Das alles muss gemacht werden, da auch Frankreich massive Konjunkturpakete (im Rahmen von über 20 Milliarden Euro) geschnürt hat und die Staatsverschuldung mittlerweile bei über 7% liegt. Bis 2013 möchte Sarkozy nun die Schulden um über 100 Milliarden Euro senken. Doch anstatt die Reichen zur Kasse zu bitten wird lieber bei allen gespart, was de facto die Armen viel mehr trifft, da die Reichen es sich sowieso leisten können früher in Pension zu gehen. Doch die Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen und nicht auf finanzielle Reserven zurückgreifen können, müssen länger arbeiten.

Das alles lassen sich die Lohnabhängigen und  SchülerInnen in Frankreich nicht mehr gefallen und protestieren. SchülerInnen greifen immer öfter zum Mittel der Besetzung. Unzählige Schulen wurden im Laufe der Proteste besetzt und an über 400 Schulen in ganz Frankreich wurden Protestmaßnahmen gesetzt. Dies zeigt, dass es möglich ist auch Jugendliche für gesellschaftliche Fragen wie der des Pensionssystems zu gewinnen. Auch in Österreich müssen sich die SchülerInnen mit den ArbeiterInnen und PensionistInnen solidarisieren.  An Schulen müssen ähnliche Protestmaßnahmen getroffen werden.

Doch nicht nur an den Schulen wird gestreikt auch die Lohnabhängigen sind mit der Reform unzufrieden. Insbesondere Fernfahrer und HafenarbeiterInnen haben in den letzten Wochen gestreikt und viele große Treibstofflager besetzt. Als Folge davon gingen 4 000 von 13 000 Tankstellen der Sprit aus und ein Drittel aller Bahnfahrten und Flüge fielen aus. Doch viele Fernfahrer wurden per Dekret zur Arbeit gezwungen, was eine Weiterführung des Streiks zu einer Straftat gemacht hätte. In den letzten Tagen wurden auch viele der Blockaden gewaltsam geräumt, wobei auch einige der BlockiererInnen verletzt wurden. Für den 6. November ist wieder ein Aktionstag der Gewerkschaften geplant, an dem wieder Millionen Menschen bei den Demonstrationen erwartet werden.

In den Banlieues leben viele MigrantInnen aus Nordafrika und dem Nahen Osten, liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 20% was zu einem ziemlichen Zorn der Jugend führt. Die Polizei setzt bei Demonstrationen in den Banlieues fast obligatorisch Tränengas ein.

Bis jetzt kam es schon zu mehreren Ausschreitungen bei Demonstrationen in Paris und den Banlieues, den Vororten der großen Städte, in denen viele MigrantInnen aus Nordafrika und dem Nahen Osten leben, und wo die Armut weitverbreitet ist. Gerade Jugendliche sind von hoher Arbeitslosigkeit betroffen, was zu einem massiven Zorn unter ihnen führt. Vieles scheint darauf hinzudeuten, dass diese Ausschreitungen vor allem von Agent Provocateurs ausgehen (also von Polizisten, die zivil in die Demo geschleust werden, um eine Eskalation herbeizuführen). Die Gewerkschaftsführung ruft die DemonstrantInnen lediglich zur Gewaltlosigkeit auf, anstatt sich mit ihnen zu solidarisieren und einen gemeinsamen Kampf zu führen.

Die Gewerkschaften spielen bei dem Protest insgesamt eine interessante Rolle. Auf der einen Seite mobilisieren sowohl die der Kommunistischen Partei nahestehende CGT als auch die sozialdemokratische CFDT viele ihrer Mitglieder, jedoch haben sie auf der anderen Seite keine Perspektive für eine Ausweitung der Protestbewegung. Die CFDT ist sogar bereit, den Streik bei einem Entgegenkommen der Regierung zu beenden. Doch vielmehr wäre es wichtig, die Gunst der Stunde zu nutzen und nicht nur den Sparplänen, sondern auch der Regierung mittels eines unbefristeten Generalstreiks den Kampf anzusagen.

Ein unbefristeter Generalstreik soll alle Berufsgruppen umfassen und so lange dauern, bis die Regierung das Sparpaket zurücknimmt. Die Blockaden müssen wenn es sein muss auch mit Gewalt gegen die Polizei verteidigt werden. Es müssen Streikkomitees im ganzen Land aufgebaut werden, die den Kampf von unten organisieren und über eine weitere Perspektive diskutieren können. Denn genau diese Perspektive fehlt nun und die Bewegung beginnt kleiner zu werden, u.a. auch deshalb weil die Gewerkschaften nur zu einzelnen Aktionstagen und einzelnen Streiks mobilisieren anstatt einen Generalstreik loszutreten.

Für uns in Österreich ist entscheidend, aus den Stärken und Schwächen der Bewegung in Frankreich zu lernen und so den Kampf gegen das Sparpaket erfolgreich führen zu können.

 

 

Unbefristeter Generalstreik kann die Regierung in die Knie zwingen!

Anmerkung der Redaktion: Unsere Organisation RKOB wurde von Mitgliedern, die vormals in der Liga für die Fünfte Internationale (LFI) organisiert waren gegründet. Den folgenden Text  zählt RKOB somit zu ihrem politischen Erbe.

 

http://fifthinternational.org/

Von Martin Suchanek, Gruppe Arbeitermacht (dt. Sektion der LFI)

Der Klassenkampf spitzt sich zu. Gestern, am 12. Oktober, demonstrierten über 3,5 Millionen Menschen gegen die „Rentenreform“ der Regierung.

Zugleich war dieser Kampftag ein riesiger landesweiter Streik. Nichts ging mehr in Frankreich. Die meisten Züge standen still. Alle Eisenbahnergewerkschaften - außer der „christlichen“ - hatten zum Kampf aufgerufen. Zahlreiche Flüge fielen aus. An den Tankstellen gab es oft kein Benzin mehr, weil die TransportarbeiterInnen streiken.

Viele Beschäftigte führen den Streik weiter und wollen ihn durch Belegschaftsversammlungen täglich erneuern. Die meisten Gewerkschaften, darunter auch die großen Verbände wie die CGT und die CFDT, haben die „Erneuerung“ dieser Streiks sanktioniert und damit legalisiert.

So fallen heute auch Züge von Deutschland nach Frankreich aus. Die Regionalbahnen stehen still. In Paris sind einige Metrolinien unterbrochen oder nur beschränkt nutzbar. Auch im Energiesektor - so in großen Raffinieren - streiken Beschäftigte am 13. Oktober weiter.

Immer mehr auf den Straßen

Seit Bekanntwerden der Rentenreform befindet sich Frankreich in Aufruhr. Es gab bisher fünf landesweite Aktions- und Streiktage, darunter jene mit einer Teilnehmerzahl von rund 2 Mill. Menschen am 27. Mai und am 24. Juni. Nach dem Sommer wuchs die Bewegung mit Aktionstagen am 7. und 23. September sowie am 2. Oktober mit je rund 3 Millionen TeilnehmerInnen weiter an. Nicht nur Zahl und Häufigkeit der Proteste nehmen zu. In vielen Bereichen oder Städten sind die Demos mit Streiks verbunden, die oft mehrere Tage dauern.

Seit Mitte letzter Woche befinden sich auch mehr SchülerInnen - weniger die StudentInnen - in Aktion. Mittlerweile sollen rund 400 Schulen in Frankreich aktiv und oft besetzt sein.

Die Streiks und der Kampf sind überaus populär. Rund 70 Prozent der FranzösInnen befürworten die Aktionstage, rund 60 sind für einen unbefristeten Streik, also einen politischen Generalstreik gegen die Rentenreform.

Kurz und gut, wir befinden uns am Beginn einer riesigen Klassenkampfwelle gegen ein zentrales Moment der Angriffe der Regierung Frankreichs.

Diese plant, das Renteneintrittsalter zukünftig von 60 auf 62 Jahre zu erhöhen. Der Bezug der vollständigen Altersrente soll erst ab dem 67. Lebensjahr (statt bisher mit 65) möglich sein. Nachdem das Abgeordnetenhaus der Reform am 14. September zugestimmt hatte, soll der Senat, die zweite Kammer, am 14. Oktober darüber abstimmen. Am Ausgang und der Entschlossenheit der Regierung besteht kein Zweifel - wie auch an ihrer Taktik.

Sarkozy hofft, die Welle des Protests auszusitzen - eine bewährte Taktik angesichts großer landesweiter Aktionstage oder eintägiger Streiks mit Millionen TeilnehmerInnen, die es in den letzten Jahren immer wieder gab. Das Muster dieser Kämpfe war bei aller Militanz und Spontanität oft, dass viele auf die Straße gingen, dann aber über Wochen oder gar Monate nichts mehr passierte. Regierung und Gewerkschaftsführer verhandelten, was stets in einem faulen Kompromiss endete, nach dem die Regierung die Verschlechterungen etwas langsamer durchzog.

Rolle der Bürokratie

Diese Gefahr besteht natürlich auch jetzt. An der Bereitschaft der reformistischen Gewerkschaftsführer wie CGT-Chef Thibault, die Bewegung zu bremsen, muss niemand zweifeln. So erklärte er noch letzten Donnerstag in einem Interview auf RTL 1 zur Frage des Generalstreiks:

“Das ist ein Slogan, der für mich völlig abstrakt, unverständlich ist: Es entspricht nicht der Praxis, durch die man es erreichen kann, das Kräfteverhältnis aufzubessern.“

Thibault fürchtet offenkundig eine Generalkonfrontation mit Regierung und auch, dass die politisch rechteren, größeren Gewerkschaftsdachverbände CFDT und FO diesen in den Rücken fallen würden.

Dass die Losung des Generalstreiks in der aktuellen Situation „abstrakt“ und „unverständlich“ wäre, kann nur ein schlechter Witz oder eine dumme Ausrede sein!

Die aktuelle Entwicklung drängt vielmehr auf einen Generalstreik. Die Streiks, die über die Aktionstage hinausgehen, die kürzer werdenden Intervalle zeigen, dass eine mächtige Bewegung an der Basis erwächst, ja erwachsen ist, die nach einem unbefristeten Generalstreik gegen die Rentenreform und gegen das Austeritätsprogramm drängt.

Dieser Druck hat auch dazu geführt, dass die Gewerkschaftsführungen - anders als bisher - täglich zu erneuernde Streiks offiziell sanktionierten und legalisierten.

Die radikaleren, aber kleineren Gewerkschaften SUD, G 10 Solidaires treten schon seit dem Sommer für einen unbefristeten Generalstreik ein. Auch die NPA und andere linke Organisationen haben sich dem angeschlossen.

Die Erfahrung der letzten Jahre, ja Jahrzehnte hatte bei den bewusstesten und kämpferischsten Schichten der Klasse schon länger zur Erkenntnis geführt, dass die Taktik der Gewerkschaftsbürokratie mit eintägigen Aktionstagen Druck auszuüben, die Regierung und Kapitalisten nicht beeindruckt, sondern vielmehr einem rituellen Dampfablassen gleichkommt, dass ein unbefristeter politischer Massenstreik nötig ist.

Mittlerweile vertritt das nicht nur die Avantgarde der Klasse, sondern größere Teile der Klasse gelangen mehr und mehr zu Einsicht, dass auf einen politischen Generalangriff eine Generalantwort, ein Generalstreik erfolgen muss. Daher wächst im Moment der Druck auf CGT, aber auch auf die CFDT.

Verhältnis Basis und Führung

Dabei ist der demokratische Charakter der Organisierung an der Basis ein enormes Plus.

Die Belegschaftsversammlungen (AG = Assemblée générale) organisieren die Aktionen an der Basis sehr demokratisch. Sie umfassen alle ArbeiterInnen und Angestellten, die sich beteiligen wollen, egal, ob sie Mitglied dieser oder jener Gewerkschaft oder überhaupt einer Gewerkschaft sind. So können die Unorganisierten, so können Millionen in den Kampf gezogen werden und täglich über ihre Aktion bestimmen.

Aber gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass die politische Führung der Aktionen nicht bei den Vollversammlungen liegt. Diese haben keine überbetrieblichen Verbindungen. Die Führung liegt daher praktisch weiter in Händen der Gewerkschaftsbürokratie, d.h. in erster Linie der CGT. Und die Führung der CGT wie auch jene der anderen größeren reformistischen Gewerkschaften laviert angesichts des Drucks. So haben diese die „tägliche Erneuerung“ der Streiks legitimiert, aber sie rufen nicht zum Generalstreik auf.

Vielmehr soll jede Belegschaft für sich entscheiden, ob sie weiterstreikt. Das klingt demokratisch, ist es aber nicht. Die CGT-Führung und die anderen Bürokraten drücken sich vor der politischen Führungsverantwortung. Weder wollen sie den Generalstreik noch wagen sie es, jetzt offen dagegen aufzutreten oder die Legalisierung der spontanen Streiks zu verweigern.

Sie spielen ein zynisches Spiel. Im Falle von großen Streiks, ja eines spontanen, politischen Massenstreiks können sie sagen, dass sie diesen unterstützt hätten; im Fall von wenigen oder keinen Streiks, können sie sagen, dass „die ArbeiterInnen“ keinen Generalstreik wollten.

Strategie und Taktik

Die französische Arbeiterklasse befindet sich jetzt an einem Wendepunkt. Ein unbefristeter Generalstreik ist eine reale Möglichkeit, steht eigentlich auf der Tagesordnung. Die Frage ist jedoch, wie er Wirklichkeit werden kann?

Dazu muss einerseits der Druck auf die Führungen der größten Gewerkschaften - insbesondere auf die CGT - erhöht werden, offen zum Generalstreik aufzurufen. Die CGT nimmt nämlich auch deshalb eine Schlüsselstellung ein, weil sie mit Abstand die kampfstärkste Gewerkschaft in Frankreich ist.

Zugleich dürfen sich die Kämpfenden nicht auf die Führungen verlassen. Die AGs (Assemblée générale) müssen miteinander verbunden werden. Jede AG sollte Delegierte für lokale oder regionale Versammlungen und schließlich für eine nationale Koordinierung wählen und so für eine zentralisierte, landesweite Kampf- und Streikleitung, die von unten kontrolliert wird und die Bewegung koordiniert, eintreten.

Eine solche, direkt-demokratische, räteähnliche Kampfstruktur ist nicht nur notwendig, um der Gewerkschaftsbürokratie die Kontrolle über die Führung des Kampfes, etwaige Verhandlungen usw. zu entreißen; sie ist auch notwendig, um einen Generalstreik gegen die Regierung und ihren Repressions- und Propagandaapparat zu verteidigen und zum Sieg zu führen. Ähnlich wie die Generalversammlungen und ihre Delegierten könnte eine solche Struktur auch über die Betriebe hinaus auf Schulen, Unis und Stadtteile ausgeweitet werden, um die Erwerbslosen und die Jugend in den Vorstädten direkt in die Bewegung einzubeziehen.

Frankreich ist heute zu einem Schlüsselland für die weitere Entwicklung des Klassenkampfes in Europa geworden.

Ein politischer Generalstreik könnte nicht nur die Rentenreform und die Sparprogramme stoppen. Er würde unweigerlich auch die Machtfrage aufwerfen: die Frage, wer herrscht - die Regierung Sarkozy oder irgendeine andere Regierung des Kapitals oder eine Arbeiterregierung, die sich auf die Organe des Generalstreiks, auf Räte und Selbstverteidigungsorgane der Bewegung stützt.

Kurz, die Entwicklung in Frankreich wirft auch die Frage der Überwindung des Kapitalismus, seines revolutionären Sturzes durch eine Regierung der Arbeiterklasse auf, die das Kapital enteignet, eine demokratische, planwirtschaftliche Reorganisation der französischen Wirtschaft einleitet, den bürokratisch-repressiven Staatsapparat des Kapitals zerschlägt und durch eine Rätedemokratie ersetzt.

Politische Führung

Die Geschichte zeigt, dass eine solche Perspektive, selbst wenn die Massen ein Stück weit spontan in diese Richtung drängen - und zum Generalstreik drängen sie jetzt in Frankreich! - keineswegs automatisch, „spontan“ passiert.

Es bedarf dazu auch einer revolutionären, politischen Partei der Arbeiterklasse, die für eine solche Perspektive kämpft, diese in den Gewerkschaften, auf den Demos, in den Massenversammlungen vertritt.

Eine solche Partei gibt es in Frankreich nicht. Aber es gibt mit der NPA eine anti-kapitalistische Partei, die eine bedeutende Minderheit der bewusstesten ArbeiterInnen und AktivistInnen der sozialen Bewegung organisiert, die vor der Aufgabe steht, zu einer solchen Partei der sozialen und politischen Revolution zu werden, zu einer Partei, die für die Machtergreifung der Arbeiterklasse kämpft. Für diese Perspektive kämpfen unsere GenossInnen - die UnterstützerInnen der Liga für die Fünfte Internationale - in Frankreich.

Flugblatt zum Aktionstag:

Dans les entreprises, les quartiers, les facs et les lycées

Construisons la grève générale !

contre la reforme des retraites et l'austérité

auf: http://www.cinquiemeinternationale.org