Für ein Programm des Kampfes angesichts der Öffnung des Arbeitsmarktes für Lohnabhängige aus den östlichen EU Ländern
Von Johannes Wiener
Der 1. Mai 2011 ist ein wichtiger Tag. Er ist wichtig, weil er nicht nur der internationale Kampftag der ArbeiterInnenklasse ist, sondern auch, weil an diesem Tag der österreichische und deutsche Arbeitsmarkt endgültig für Lohnabhängige aus neueren Mitgliedsländern (Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien, Polen, Estland, Lettland und Litauen) geöffnet wird.
Eigentlich besteht das formale Recht für jeden EU-Bürger und für jede EU-Bürgerin, in jedem Land der EU leben und arbeiten zu können. Doch für die vorher genannten Länder wurde eine siebenjährige Frist festgesetzt, in der nur für den österreichischen Arbeitsmarkt benötigte Fachkräfte beschäftigt werden dürfen. Für Rumänien und Bulgarien gilt die Übergangsfrist bis 2013.
Chauvinistische ÖGB-Führung
Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) hat in der bisherigen Debatte, die sehr stark von der FPÖ dominiert worden ist, eine chauvinistische Position eingenommen (das heißt eine, die die migrantischen ArbeiterInnen schlechter behandelt als die einheimischen). So forderte der ÖGB immer wieder, dass Lohnabhängige aus den östlichen EU Ländern nur kontrolliert einwandern dürfen. Immer wieder warnte die ÖGB-Führung davor, dass unser heimischer Arbeitsmarkt mit billigen Ostarbeitskräften überschwemmt werden würde, wenn die Übergangsfrist vorzeitig aufgehoben werden würde. Diverse VertreterInnen des ÖGB haben versucht, ihre chauvinistische Position durch "die Interessen der ArbeitnehmerInnen in der Wirtschaftskrise" zu rechtfertigen. So meinte beispielsweise der VIDA-Vorsitzende Rudolf Kaske: "Angesichts der Wirtschaftskrise ist die vollständige Öffnung des Arbeitsmarktes für Arbeitskräfte aus den ost- und südosteuropäischen Ländern das falsche Rezept. Wir treten deshalb für die Verlängerung der Übergangsfristen bis 2011 ein."
Wir von der Revolutionär-Kommunistischen Organisation zur Befreiung (RKOB) verurteilen diese Herangehensweise, die zwischen den Interessen der ArbeiterInnenklasse eines Landes und den Interessen der eines anderen Landes unterscheidet. Es überrascht uns aber nicht sonderlich, dass die Gewerkschaftsbürokratie diese Position einnimmt. Die Basis der Gewerkschaftsbürokratie ist die ArbeiterInnenaristokratie, sprich jene Teile der ArbeiterInnenklasse, die Privilegien besitzen und den höchsten Lohn bekommen. Deswegen setzt sich die Gewerkschaftsbürokratie weit stärker für die Interessen dieser Schicht ein als für jene der unteren und mittleren Schichten – und zu denen gehören die meisten MigrantInnen.
Das ist kein Zufall, denn die Basis der Gewerkschaftsbürokratie ist die ArbeiterInnenaristokratie, sprich jene Teile der ArbeiterInnenklasse, die Privilegien besitzen und den höchsten Lohn bekommt und oft auch am besten gewerkschaftlich organisiert sind.
Lohnabhängige aus den östlichen EU Ländern bekommen (laut offiziellen Schätzungen) nur 70-90% des Lohnes inländischer Lohnabhängige für die gleiche Arbeit, wobei dieser Prozentsatz in der Realität geringer ist, sie müssen oft länger arbeiten (teilweise vier Stunden pro Woche länger als inländische Arbeitskräfte) und werden oft weit unter dem Kollektivvertrag bezahlt (sehr oft unter 3€/Std.). Diese offensichtliche Überausbeutung wollen wir konsequent bekämpfen.
Gesetze statt Kampf?
Jetzt hat die ÖGB-Bürokratie gemeinsam mit den UnternehmerInnen ein „Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping“ ausgearbeitet. Dieses soll noch vor dem 1. Mai im Parlament abgesegnet werden. Dieses sieht vor, dass die UnternehmerInnen allen Beschäftigten – also auch jenen aus Osteuropa – den hierzulande geltenden Mindestlohn bezahlen sollen. Um dies zu gewährleisten, fordern die Gewerkschaften die „Sicherstellung von personellen und finanziellen Ressourcen der Behörden zur Kontrolle des Gesetzes gegen Lohn- und Sozialdumping“. Mit anderen Worten: die Gleichstellung der osteuropäischen MigrantInnen mit den heimischen Beschäftigten soll mit Hilfe verstärkter Kontrollen durch den Staatsapparat, der traditionell unternehmerInnenfreundlich ist, erreicht werden.
Die RKOB haltet dies für vollkommen falsch und unzureichend. In der Tat wollen die UnternehmerInnen mit den osteuropäischen MigrantInnen Lohndumping betreiben. Aber dies können wir nicht durch Gesetze verhindern. Trotz aller Gleichstellungsgesetze verdienen Frauen immer noch über ¼ weniger als Männer. Nein, die Gleichstellung der MigrantInnen können wir nur erkämpfen durch die gemeinsame gewerkschaftliche Organisierung, durch den gemeinsamen Kampf für gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen, durch die Kontrolle der Löhne und Beschäftigungsverhältnisse in den Betrieben durch die Gewerkschaften selber und durch die grenzüberschreitende Organisierung und Kampagnentätigkeit zwischen den österreichischen und osteuropäischen Gewerkschaften.
Gleichzeitig ist es auch wichtig, dass die Gewerkschaften gegen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Menschen eintreten. Wir sagen: Öffnung der Grenzen! Die Menschen in den ärmeren Ländern, dürfen nicht daran gehindert werden, ihrem Elend zu entfliehen. Sind es doch die westlichen Konzerne und die Großmächte, die durch ihre jahrhundertelange koloniale Ausbeutung für die unmenschlichen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in ihrer Heimat verantwortlich sind.
Gewerkschaften umwandeln
Entscheidend ist, daß die Gewerkschaften der Kontrolle durch die Bürokratie entrissen und für die Organisierung gerade der unteren, unterdrückten Schichten der ArbeiterInnenklasse gewonnen werden. Nur so können die Gewerkschaften zu einem tatsächlichen Interessensorgan der breiten Masse der Lohnabhängigen werden. Nur so kann es gelingen, dass diese breite Masse der unteren und mittleren Schichten unserer Klasse den Kampf selber führt.
Diese Perspektive ist für uns von der RKOB zentral, denn wir erachten die Organisierung und Mobilisierung der breiten Masse und nicht bloß der aristokratischen Schichten als zentral für eine erfolgreiche Perspektive des Klassenkampfes. Für uns als Verfechter des Bolschewismus – der Tradition der Revolution der ArbeiterInnen und Unterdrückten – gilt der Ausspruch des russischen Revolutionsführer Leo Trotzki auch heute: „Der Sinn, die Stärke und das Wesen des Bolschewismus bestehen darin, daß er sich nicht an die Oberschichten der Arbeiterklasse wendet, sondern an die unteren Schichten, an die Millionen, an die Unterdrücktesten der Unterdrückten.“ (Leo Trotzki: Aussichten und Aufgaben im Osten. Rede bei der Feier zum dreijährigen Bestehen der Kommunistischen Universität der Werktätigen des Ostens (21. April 1924); in: Schriften 2.1 (Über China), S. 62)
Die RKOB tritt in der jetzigen Situation für folgende Forderungen ein:
* Für eine massive gewerkschaftliche Organisierungskampagne des ÖGB für die migrantischen ArbeiterInnen. Dies soll im Besonderen für jene gelten, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten (z.B. im Pflegebereich). Für die konsequente Zusammenarbeit der österreichischen mit den osteuropäischen Gewerkschaften.
* Gegen die höhere Ausbeutung von MigrantInnen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, für einen Mindestlohn von 1300€ pro Monat, für gleiche Arbeitszeiten, gleiche Arbeitsrechte und gleiche Sozialleistungen!
* Für ein öffentliches Beschäftigungsprogramm unter Kontrolle der Gewerkschaften, finanziert durch die Gewinne von Unternehmen!
* Aufteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnausgleich um so die Vollbeschäftigung zu erreichen!
* Für die Möglichkeit gratis Sprachkurse in der Arbeitszeit besuchen zu dürfen (sowohl Deutsch als auch Tschechisch, Ungarisch, etc.).
* Für die Kontrolle der vorher genannten Forderungen, durch GewerkschafterInnen und Delegierte der migrantischen Lohnabhängigen. Für die Einsicht in die Geschäftsbücher, um die lückenlose Gleichstellung zu gewährleisten.
* Enteignung der UnternehmerInnen, die die arbeitsrechtlichen Bestimmungen nicht einhalten! Überführung dieser Betriebe unter ArbeiterInnenkontrolle!
* Für die Öffnung der Grenzen, jeder und jede soll dort leben und arbeiten dürfen wo er oder sie möchte.