Die Unterdrückung der Roma in der stalinistischen Gesellschaft

Mit der Abschaffung des Kapitalismus in Osteuropa Ende der 1940er Jahre und der Errichtung von degenerierten ArbeiterInnenstaaten (darunter verstehen wir die – reaktionäre – Diktatur einer bürokratischen Kaste auf der – progressiven – Grundlage planwirtschaftlicher Eigentumsverhältnisse) veränderte sich die Lage der Roma beträchtlich.

 

Die herrschende stalinistische Kaste bedurfte für die Verwirklichung ihrer (wenn auch einseitigen und bürokratisch geplanten) Industrialisierungspläne vieler Arbeitskräfte. Dies schuf die Grundlage für die praktisch erstmalige Einbeziehung der Roma in den modernen Produktionsprozess – v.a. die Industrie. Damit waren enorme und grundsätzlich fortschrittliche Folgen für die Roma verbunden, da sich dadurch erstmalig ein Roma-Proletariat herausbildete. Eine weitere Konsequenz war der damit verbundene Zugang zur Bildung und die, wenn auch sehr langsame, Herausbildung einer Intellektuellenschicht.

 

Doch der Stalinismus beseitigte nicht die gesellschaftliche Unterdrückung der Roma, er hob sie nur auf eine andere Stufe. So wie die ArbeiterInnenklasse allgemein ihre Position im degenerierten ArbeiterInnenstaat verbessern konnte, jedoch politisch unterdrückt blieb, so war es auch bei den Roma der Fall. Denn so wie auch die ArbeiterInnenklasse bei den sozialen Umwälzungen 1948-50 nicht Subjekt – also handelnde, selbsttätige Kraft –, sondern Objekt der Beschlüsse des Zentralkomitees war, so waren auch die Roma nicht Subjekt der Veränderung ihrer Lage. Und die herrschende Kaste hatte auch kein Interesse daran, die Roma als aktives Subjekt ihrer Befreiung zu akzeptieren. Denn dies hätte sie schwerer kontrollierbar gemacht und hätte vielleicht auch auf andere Minderheiten Ausstrahlung gehabt. All dies widersprach dem Herrschaftsinteresse der Bürokratie. (6)

 

Und schließlich hätte eine tatsächliche Befreiung der Roma auch Konflikte mit den tiefsitzenden chauvinistischen Vorurteilen in Teilen der slawischen Bevölkerung provoziert. Genau dies wollte die Bürokratie vermeiden, entsprach doch eine konservative Mentalität der ArbeiterInnenklasse ihrem Herrschaftsinteresse. Daher unternahm der Stalinismus keine ernsthaften Schritte zur Überwindung der Roma-feindlichen Ressentiments.

 

Aus all diesen Gründen setzte sich die Unterdrückung der Roma im Stalinismus fort. Zwar kam es zu einer verhältnismäßig hohen Eingliederung der Roma in den Arbeitsprozess - z.B. standen in Ungarn Anfang der 1980er-Jahre 85% der arbeitsfähigen Roma und 45% der Romnia (Roma-Frauen) in einem Arbeitsverhältnis. (7) Doch gleichzeitig waren sie hauptsächlich auf die untersten Schichten der ArbeiterInnenklasse konzentriert. Eine Untersuchung in Ungarn in den 1970er-Jahren ergab, daß nur 11% der Roma FacharbeiterInnen waren, jedoch 10% angelernte ArbeiterInnen, 13% LandarbeiterInnen und 56% unqualifizierte ArbeiterInnen. Sie waren großteils als HilfsarbeiterInnen im „marginalen Arbeitssektor“ und der Landwirtschaft beschäftigt. Ähnlich in der Slowakei, wo mehr als 90% der beschäftigten Roma zur ArbeiterInnenschicht zählten. (8) Diese außerordentlich prekäre Lage der Roma – ähnlich wie Paria – ermöglichte, wie wir später sehen werden, die katastrophale Verarmung unter den Bedingungen des wiederhergestellten Kapitalismus in den 1990er-Jahren.

 

Dieser Paria-Status im Berufsleben ging mit einer ähnlichen Stellung der Roma im Bildungssektor einher. Die Roma galten gemeinhin als „rückständig“ und „intellektuell unzugänglich“, womit gerechtfertigt wurde, daß die Mehrheit der Roma-Kinder in Sonderschulen landete. So waren in Ungarn 1974/75 24% aller Kinder in den Sonderschulen Roma (bei einem Bevölkerungsanteil von ca. 5%!) und dieser stieg bis zum Zusammenbruch des stalinistischen Regimes auf 37% an. Die stalinistischen Behörden in Bulgarien nannten die Roma-Schulen sogar explizit “Schulen für Kinder mit unterentwickelter Lebenseinstellung und Kultur”. (9)

 

Die Ursachen für die angebliche Rückständigkeit der Roma lag natürlich nicht in ihrer „Mentalität“, sondern entsprang den Bedingungen ihrer Unterdrückung durch den stalinistischen Staat. Eine Untersuchung der Pädagogischen Forschungsgruppe der Ungarischen Akademie der Wissenschaften ergab, daß viele Roma-Kinder einen normalen Schulablauf hätten absolvieren können, wenn sie eine vor-schulische Ausbildung genossen hätten. Doch viele Gemeinden verweigerten den Roma den Zugang zum Kindergarten. In den Roma-Gemeinden selber existierten oft gar keine Kindergärten. So besuchten 1979 nur 20-30% der Roma-Kinder Kinderkrippen bzw. Kindergärten, während der landesweite Durchschnitt bei 84% lag.

 

Die Gründe für die „Rückständigkeit“ der Roma lagen natürlich nicht in ihrer Mentalität oder der oft zitierten „Kultur der Armut“, sondern in ihrer tatsächlichen, materiellen extremen Armut – Bedingungen, unter denen Bildung (und Weiterbildung) nur schwer möglich sind. Ökonomische und ethnische Diskriminierung gingen Hand in Hand.

 

Die Roma wurden als ethnische Gruppe im Stalinismus unterdrückt. In der Diktion der StalinistInnen in der Tschechoslowakei waren die in der Slowakei lebenden Roma ein „sozial rückständiger Teil der slowakischen Nation“. Ihre Existenz als eine besondere ethnische Gruppe wurde schlichtweg geleugnet. In einem Beschluss des Zentralkomitees der KPC vom 8. April 1958 wurde die Notwendigkeit der konsequenten Assimilation der „ethnographischen Gruppe der Zigeuner“ gesprochen. (10) Assimilation hieß für die Bürokratie schlichtweg Leugnung der Eigenständigkeit und Besonderheit sowie Zwang zu Anpassung an die herrschende Nation.

 

Noch schlimmer verhielt es sich z.B. in Rumänien unter der Diktatur Ceausescus. Die rumänischen StalinistInnen leugneten überhaupt die Existenz einer Roma-Minderheit. Das häufig verwendete Wort für die Roma - "tigan" – wurde aus dem öffentlichen Sprachgebrauch verbannt. (11)

 

Die Unterdrückung schlug sich in der systematischen Diskriminierung der Kultur und Sprache der Roma nieder. Dies hatte natürlich massive Folgen für die Integration der Roma, sprechen doch viele von ihnen Romanes: So wird Romanes heute von ca. 60% der Roma in Rumänien und von 20% in Ungarn als Hauptsprache verwendet. Angaben von Roma-AktivistInnen zufolge sprechen ca. 80% der Roma in der Slowakei Romanes, wenn auch nicht immer als Hauptsprache. (oft beherrschen sie zwei oder drei Sprachen)

 

Doch der stalinistische Staat weigerte sich – seiner bürokratischen Assimilationspolitik entsprechend –, die Sprache der Roma anzuerkennen und zu fördern. Daher wurden keine Literatur und keine Schulbücher in Romanes gedruckt und natürlich auch nicht die Roma-Sprache in der Schule unterrichtet. Kein Wunder, daß viele Roma-Kinder in Sonderschulen landeten!

 

Zusammengefasst ermöglichte der degenerierte ArbeiterInnenstaat zwar eine erstmalige Einbeziehung der Roma in den Produktionsprozess, gleichzeitig jedoch setzte die Bürokratie die Unterdrückung der Roma als ethnische Gruppe fort. Das Resultat war eine massive Diskriminierung in allen Bereichen der Gesellschaft, eine Aufrechterhaltung der Roma-feindlichen Vorurteile und damit ein Scheitern der Integration. Die Folgen dessen wurden nach der Wiedereinführung des Kapitalismus besonders dramatisch sichtbar.