Von Michael Pröbsting
Der Wiener Wahlkampf zeigt einmal mehr, welch starke und allgegenwärtige Rolle der Rassismus im politischen Leben spielt. Fast alle Parteien versuchen mit rassistischer Hetze gegen MigrantInnen zu punkten. Die FPÖ stammelt über das „Wiener Blut“, dem angeblich „zuviel Fremdes nicht gut tut“ und die ÖVP plakatiert „Reden wir über Bildung. Am besten auf Deutsch“. Die SPÖ schließlich verschickt Massenaussendungen an alle Haushalte, in der sie ihre Zwangsdeutsch-Politik anpreist: „Ein Schlüssel für ein friedliches Zusammenleben ist die gemeinsame Sprache. Darum lege ich größten Wert darauf, dass alle Zuwanderinnen und Zuwanderer Deutsch lernen. Wir haben deswegen in Wien verpflichtende Deutschkurse und ein Vorschuljahr für alle Kinder eingeführt.“
Im folgenden Artikel werden wir erklären, was die tieferen Ursachen der Migration und des Rassismus sind. Ebenso werden wir das Programm der Revolutionär-Kommunistische Organisation zur Befreiung (RKOB) gegen Rassismus und nationale Unterdrückung der MigrantInnen darlegen.
Kapitalismus und Migration
Migration ist im Zeitalter des Kapitalismus ein „natürliches“, dieser Gesellschaftsformation wesenseigenes Phänomen. Von der Profitgier getrieben saugt das Kapital gierig immer neue Menschenmassen auf, verwandelt sie in Arbeitskräfte und dreht sie durch den Fleischwolf der kapitalistischen Ausbeutung, um so neuen Mehrwert aus ihnen herauspressen zu können. Der Kapitalismus untergräbt und zerstört unaufhaltsam alle alten Lebensgrundlagen und zwingt unzählige Millionen Menschen, sich außerhalb ihres Heimatortes Arbeit zu suchen. Deshalb ziehen seit Jahrhunderten viele Menschen vom Land in die Stadt und von einem Land zum anderen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich zahlreiche Spannungen und Gegensätze, die die herrschende Klasse ausnützt und aufpeitscht, um dadurch die Unterdrückten gespalten und damit geschwächt zu halten. Migration und Rassismus sind daher eine unvermeidliche Konsequenz der Grundlagen des Kapitalismus: der stetige und immer schärfer werdende Kampf zwischen den KapitalistInnen um Profite und zwischen den kapitalistischen Staaten um Macht und Einfluß.
Migration hat auch geschichtlich immer eine Rolle gespielt: Aus Österreich-Ungarn zum Beispiel wanderten zwischen 1880 und 1914 3.2 Millionen Menschen in die USA aus, da es dort ein weitaus größeres Wirtschaftswachstum gab als hierzulande. Gleichzeitig fand auch eine enorme Wanderungsbewegung innerhalb der entstehenden kapitalistischen Mächte statt. In Wien, der Hauptstadt des Habsburger Reiches, machten 1910 die Tschechen, Ungarn und anderen nicht-deutsche MigrantInnen aus dem Kolonialreich über 35% der EinwohnerInnen aus. (1)
Imperialismus
Im modernen Kapitalismus – der Epoche des Imperialismus seit Beginn des 20. Jahrhunderts – nimmt die Migration die Form der Auswanderung aus den armen, kolonialen, halb-kolonialen oder schwachen imperialistischen Staaten hin zu den reichen imperialistischen Staaten zu.
Insbesondere in den letzten Jahrzehnten – seit Beginn der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus in den frühen 1970er Jahren und dann versärkt mit dem Einsetzen der Globalisierung – hat die Migration massiv zugenommen.
Die meisten MigrantInnen leben daher in den reichen, imperialistischen Staaten. So beträgt der Anteil der MigrantInnen an der Gesamtbevölkerung in den „weniger entwickelten Staaten“ (dieser Begriff der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft umfaßt jene Länder, die wir MarxistInnen als halbkoloniale Staaten bezeichnen) nur 1.5% (2010). In den imperialistischen Metropolen hingegen liegt dieser Anteil bei mittlerweile 10% - ein stetiger Anstieg gegenüber 8.3% (2000), 7.2% (1990), 4.3% (1970) und 4.0% (1960). (2)
Migration als spezifisches Phänomen des Monopolkapitalismus, wo MigrantInnen als billige Arbeitskräfte in die imperialistischen Metropolen einwandern, erkennt man auch anhand folgender Tatsache: alleine in Nordamerika und Europa leben mit 120 Millionen mehr als die Hälfte aller MigrantInnen weltweit. Insgesamt konzentrieren sich drei Viertel aller MigrantInnen weltweit in nur 29 Ländern. (3) Gleichzeitig kommt es auch zu immer stärkeren Wanderungsbewegungen innerhalb einzelner Länder. So sind aus den verarmten Gegenden Chinas bis zu 150 Millionen Menschen in die Metropolen gezogen, nur um dort ein oftmals illegalisiertes Dasein zu fristen.
Überausbeutung
Migration ist ein wesenseigener Bestandteil der Überausbeutung der halb-kolonialen Welt durch das imperialistische Monopolkapital. Diese Überausbeutung findet auf mehreren Ebenen statt. So preßt das Monopolkapital – über den Kapitalexport sowie über den ungleichen Tausch – aus der halb-kolonialen Welt Extraprofite heraus. Um ein Beispiel zu geben: Zusammengerechnet flossen alleine im Zeitraum 1995-2007 netto 3.736,7 Milliarden US-Dollar von den halb-kolonialen Ländern in Richtung imperialistische Zentren.
Diese Überausbeutung findet auch durch die Aneignung von Extraprofiten durch die Migration statt. Das imperialistische Kapital zieht Profit daraus, daß es MigrantInnen ausbeuten kann aufgrund geringerer oder gar keiner Kosten für ihre Ausbildung, geringerer oder gar keiner Kosten für ihre Pension, bei der Möglichkeit, die MigrantInnen aufgrund ihrer rechtloseren, national unterdrückten Stellung als billigere (im Vergleich zu den inländischen) Arbeitskräfte ausbeuten zu können usw.
Um einige wenige Beispiele anzuführen. Die halbkolonialen Länder leiden unter einem enormen Verlust von z.T. qualifizierten Arbeitskräften, die ihre verarmte Heimat verlassen und ihr Wissen und ihre Qualifikation dem Kapital in den imperialistischen Ländern zur Verfügung stellen („brain drain“). Einem Bericht der Weltbank zufolge verlassen jährlich 23.000 afrikanische AkademikerInnen ihre Heimat. Mittlerweile leben alleine in den USA mehr afrikanische WissenschaftlerInnen und Ingenieure als auf dem gesamten afrikanischen Kontinent! (4)
Selbst bürgerliche PolitikerInnen, die so gerne über die Überfremdung schimpfen, müssen zugeben, wie wichtig die Arbeit der MigrantInnen für die kapitalistische Wirtschaft ist. So veröffentlichte der britische Minister für Migration, Liam Byrne, Angaben, die z.B. für das Jahr 2006 einen Gewinn für die „britische Wirtschaft“ (d.h. v.a. die KapitalistInnen) von 6 Milliarden Pfund ausgingen. Laut Angaben des Finanzministers soll die Arbeit der (billigen) MigrantInnen in den Jahren 2001-2006 für 15-20% des Wirtschaftswachstums in Britannien verantwortlich sein. (5)
Ein weiteres Beispiel in Österreich ist das enorme Ausmaß, in dem MigrantInnen jedes Jahr beim Sozialversicherungssystem abgeschröpft werden. Im Jahr 2007 gab der damalige Sozialminister Buchinger bekannt, daß die in Österreich beschäftigten ausländischen Staatsbürger damals rund 1.6 Milliarden Euro in die Sozialversicherung einzahlten, jedoch nur 0.4 Milliarden ausbezahlt bekommen. Übrig bleibt also ein jährlicher Netto-Gewinn des Staates – im Fall von 2007 waren das 1.2 Milliarden Euro – wodurch auch mehr Geld für die Auszahlung von Sozialleistungen an inländische Beschäftigte vorhanden ist. (6)
Diese Überausbeutung der migrantischen Arbeitskraft ist eine wichtige Quelle des imperialistischen Extraprofites. Sie ist somit auch eine wichtige Quelle für die Festigung der Macht der imperialistischen herrschenden Klasse sowie der Bestechung der obersten Schichten der ArbeiterInnenklasse – der Arbeiteraristokratie.
Österreich: MigrantInnen als national unterdrückte Schicht von überausgebeuteten Arbeitskräften
MigrantInnen in Österreich sind eine national unterdrückte Schicht von überausgebeuteten Arbeitskräften. MigrantInnen gehören nicht zur herrschenden Staatsnation und erfahren daher Benachteiligung bei der Sprache in allen öffentlichen Bereichen wie z.B. Behörden, Medien oder Schulen, haben geringere demokratische Rechte als ausländische StaatsbürgerInnen inklusive der Abhängigkeit von Arbeitsbewilligung, dem sogenannten „Ausländerbeschäftigungsgesetz“ usw. Auf dieser Grundlage ergibt sich für die große Mehrheit der MigrantInnen eine bestimmte Stellung in der gesellschaftlichen Stufenleiter der kapitalistischen Ordnung: In ihrer großen Mehrheit zählen MigrantInnen zu den unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse und jener kleine Teil von ihnen, der zum Kleinbürgertum zählt, gehört in der Regel auch dort zu den ärmsten.
MigrantInnen aus den halb-kolonialen Ländern verdienen bedeutend weniger als ihre inländischen KollegInnen (nur 40% bis 65% des Einkommens von Beschäftigten mit österreichischer Staatsbürgerschaft des gleichen Geschlechts). Diese enormen Lohnunterschiede gelten auch innerhalb derselben Branche. So verdienen z.B. die ex-jugoslawischen ArbeiterInnen in der Baubranche nur 45-55% des Lohns, den die inländischen KollegInnen erzielen. Bei den türkischen MigrantInnen liegt der Wert zwischen 30-60%. In der Sachgüterproduktion beträgt das Lohnniveau bei diesen beiden wichtigsten MigrantInnengruppen nur zwischen 40-70%. Diese gravierende schlechtere Bezahlung kommt v.a. dadurch zustande, daß MigrantInnen viel seltener einen vollwertigen Vollzeitarbeitsplatz bekommen, sondern formell nur mit einer kürzeren Beschäftigungsdauer (z.B. geringere Wochenarbeitsstunden, Saisonniers) angestellt werden. Dafür müssen sie dann meist viele (unbezahlte) Überstunden machen. (7)
Ebenso zeigt sich die Benachteiligung der MigrantInnen bei der Größe ihrer Wohnungen. So z.B. beträgt die durchschnittliche Wohnfläche für ÖsterreicherInnen 46m2, bei MigrantInnen aus Osteuropa hingegen 38m2, bei jenen aus dem ehemaligen Jugoslawien 25m2 und denen aus der Türkei gar nur 20m2.
Hinzu kommt die sprachliche Benachteiligung aufgrund der Nichtanerkennung ihrer Muttersprache in allen öffentlichen Bereichen, die zu enormen Problemen mit den staatlichen Behörden sowie einer Schlechterstellung bei der Ausbildung führt.
Insgesamt leben in Österreich ca. 2 bis 2.2 Millionen MigrantInnen, die ein Viertel der Bevölkerung ausmachen (die meisten offiziellen Statistiken unterschätzen die Zahl der MigrantInnen und geben sie mit bloß 1,4-1,5 Millionen an). In Wien stellen MigrantInnen sogar 44% der Bevölkerung. 2/3 von ihnen kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei oder den osteuropäischen EU-Staaten. Ca. 1/5 der EinwanderInnen kommt aus reichen, imperialistischen Staaten.
Unterschiede
Die Formen dieser nationalen Unterdrückung und der Überausbeutung stellen sich natürlich nicht für alle MigrantInnen im gleichen Maße dar. MigrantInnen der zweiten Generation erfahren nicht die gleichen Bedingungen wie jene der ersten Generation, ausländische StaatsbürgerInnen nicht die gleichen wie MigrantInnen mit österreichischer Staatsbürgerschaft, hochqualifizierte MigrantInnen-Arbeitskräfte nicht die gleichen wie jene, die als Hilfsarbeitskräfte beschäftigt sind usw. Hinzu kommt noch die Trennung der MigrantInnen in Gruppen entsprechend ihrer unterschiedlichen nationalen Herkunft, weswegen wir nicht von einer gemeinsamen nationalen Identität sprechen können, sondern einer von einer gemeinsamen negativen nationalen Identität (nämlich, daß sie „Nicht-ÖsterreicherInnen“ mit Wurzeln in – im Verhältnis zum Einwanderungsland – ärmeren Ländern sind). Aber letztlich verbindet all diese unterschiedlichen Teile der MigrantInnen weit mehr als sie trennt - nämlich die gesellschaftliche Stellung als Schicht, die in ihrer überwiegenden Mehrheit in der einen oder anderen Form nationale Unterdrückung und Überausbeutung erfährt.
Nur bedingt gilt, daß ein Mensch mit ausländischen Wurzeln so wie die Mehrzahl der MigrantInnen sich in den unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse wiederfindet. EinwanderInnen aus reichen, imperialistischen Staaten werden im Durchschnitt nicht überausgebeutet und nehmen oft einen relativ hohen Platz in der gesellschaftlichen Stufenleiter der kapitalistischen Ordnung ein.
Vergleicht man z.B. die Nettojahreseinkommen 2008 (Median) der ganzjährig unselbständig Erwerbstätigen, so liegen diese bei den EinwanderInnen aus den westeuropäischen EU-Staaten mit 21.015 Euro (Medianwert für 2008) fast auf dem gleichen Niveau wie das der österreichischen Erwerbstätigen (21.542 Euro). Insgesamt sind deutsche EinwanderInnen im Durchschnitt in höher qualifizierten Jobs tätig bzw. studiert ein Teil von ihnen an den Universitäten (2007 waren es knapp 15.000). Der Anteil der AkademikerInnen ist bei den deutschen EinwanderInnen dreimal so hoch wie bei den ÖsterreicherInnen. Während bei den WissenschaftlerInnen und TechnikerInnen die deutschen EinwanderInnen deutlich höher repräsentiert sind als die ÖsterreicherInnen, ist deren Anteil unter den HilfsarbeiterInnen nur halb so hoch. (8)
Besonders deutlich wird das Fehlen einer systematischen Überausbeutung auch dann, wenn man sich die Position in der beruflichen Hierarchie ansieht. So üben 41.3% der deutschen Erwerbstätigen in Österreich eine höhere bis führende Tätigkeit als Angestellte aus, während der Vergleichswert für österreichische Erwerbstätige bei 27.8% liegt. (9)
Bei deutschen EinwanderInnen kommt noch dazu, daß sie keinen sprachlichen Benachteiligungen ausgesetzt sind. Wir betrachten diese Gruppe der EinwanderInnen aus reichen, imperialistischen Staaten nur als untergeordnete Gruppe der MigrantInnen bzw. als eine Schicht, die weniger den sonst zu erkennenden Diskriminierungs- und Ausbeutungsmustern ausgesetzt ist. Die weitaus größte Gruppe der MigrantInnen sind jene, die ihre Wurzeln in den ärmeren, halb-kolonialen Ländern haben.
Frauen und Jugendliche
Migrantische Frauen und Jugendliche erfahren eine zusätzliche Unterdrückung. Migrantische Frauen werden dreifach diskriminiert: zuerst einmal als Arbeiterin, dann als Migrantin und darüber hinaus auch als Frau. Migrantinnen verdienen im Durchschnitt noch weniger als ihre männlichen Kollegen, die selber bereits zu den schlechtest bezahlten Schichten der ArbeiterInnenklasse gehören. Allerdings sind die Lohnunterschiede zwischen migrantischen Männern und Frauen aufgrund der Tatsache, daß beide so massiv in den unteren proletarischen Schichten konzentriert sind, nicht so stark wie bei ihren inländischen KollegInnen. Laut einer WIFO-Statistik beträgt das Median-Einkommen von inländischen Lohnbezieherinnen 67% des Einkommens ihrer männlichen Kollegen, während die ausländischen Lohnbezieherinnen 72% des Einkommens ihrer männlichen Kollegen verdienen. (10)
Migrantinnen sind in noch höherem Ausmaß als Migranten als Hilfsarbeitskräfte tätig: Während ein Fünftel der im Ausland geborenen Männer solche Tätigkeiten verrichtet, ist es bei den Frauen jede Dritte (20.0% zu 32.9%). Bei den Migrantinnen aus der Türkei sind fast sechs von zehn Erwerbstätige Hilfsarbeiterinnen (57.5% bzw. 16.600), von den Migrantinnen aus dem ehemaligen Jugoslawien ist dies etwa jede Zweite (51.9%). (11)
Ebenso leiden migrantische Jugendliche unter einer zusätzlichen Unterdrückung: Als Teil der ArbeiterInnenklasse, als MigrantInnen und eben als Jugendliche. 16.4% der Kinder aller Altersstufen weisen einen Migrationshintergrund auf – bei 391.400 Kindern wurden beide Elternteile im Ausland geboren. Zwei Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund (65.8% bzw. 257.700) zählen zur Zweiten Generation. (12)
Migrantenjugendliche sind stärker als inländische Jugendliche von Arbeitslosigkeit betroffen, auch wenn der Unterschied nicht bei allen Gruppen gleich groß ist. Die Gesamtjugendarbeitslosigkeit für die 15- bis 24-Jährigen betrug im Jahr 2009 rund 10%. Bei Jugendlichen mit türkischer Staatsangehörigkeit oder eines Nachfolgestaates Jugoslawiens waren jeweils 12,6% arbeitslos. Jugendliche aus sonstigen Nicht-EU-Staaten waren hingegen besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen (21,6%). (13)
Aufgrund der verschiedenen Formen der Unterdrückung (Armut, Sprache) haben Migrantenjugendliche meist kein wesentlich höheres Bildungsniveau als ihre Eltern. Rund drei Viertel der Migrantenjugendlichen haben keine über die Pflichtschule hinausgehende Ausbildung, zum Teil auch keinen Hauptschulabschluß. (14)
Rassistische Ideologie
Die Ideologie des Rassismus spielt eine wichtige und notwendige Rolle zur Aufrechterhaltung und Rechtfertigung der nationalen Unterdrückung der MigrantInnen. Es existieren unterschiedliche Formen des Rassismus, die die Unterdrückung der MigrantInnen mit verschiedenen Lügen zu rechtfertigen suchen: i) biologisch-genetische Minderwertigkeit, ii) andere, mit der Staatsnation nicht vereinbare kulturelle Werte (der „Krieg der Kulturen“), iii) angeblich rückständige, aggressive Religion (z.B. unterschiedliche Formen der Islamfeindlichkeit). Diese reaktionären Behauptungen können und werden in der Praxis natürlich oft vermischt. Auch bewegt sich der Rassismus auf verschiedenen Ebenen – Gesetzen, populistische Politik, Konfrontationen auf der Straße, etc.
Rassistische Politik wird daher nicht nur von der FPÖ und dem BZÖ betrieben, auch wenn diese am offensichtlichsten, aggressivsten gegen MigrantInnen hetzen. Alle bürgerlichen Parteien (also auch ÖVP, SPÖ und Grüne) betreiben und rechtfertigen in der einen oder anderen Form die Unterdrückung von MigrantInnen.
Kampf dem Sozialchauvinismus
Die weite Verbreitung des Rassismus in der ArbeiterInnenklasse hat ihre objektive Grundlage in mehreren Faktoren: i) die wirklichen Ursachen für wachsende Arbeitslosigkeit und Armut sind nicht spontan erkennbar und können daher von der herrschenden Klasse auf die MigrantInnen abgeschoben werden; ii) den enormen Extraprofiten, die u.a. auch auf der Überausbeutung der MigrantInnen beruhen und von denen bestimmte, privilegiertere Teile der inländischen ArbeiterInnenklasse profitieren.
Dieser Kampf gegen den Sozialchauvinismus ist auch heute von vorrangiger Bedeutung. Die führenden reformistischen Kräfte (Sozialdemokratie) unterstützen die Benachteiligung von MigrantInnen. Auch die meisten zentristischen Organisationen wie SLP, Funke u.a. machen wesentliche Zugeständnisse an den Sozialchauvinismus (so z.B. die Unterstützung für die rassistischen Streiks in Großbritannien 2009 gegen die Einstellung migrantischer ArbeiterInnen unter dem reaktionären Motto „British Jobs for British Workers“, keine Unterstützung der Politik des Rechts auf Muttersprache im öffentlichen Bereich usw.)
Revolutionäre Integration
Der Widerstand gegen den Rassismus und für die vollständige Gleichberechtigung der MigrantInnen kann nur auf der Grundlage des konsequenten Internationalismus und der Orientierung auf den gemeinsamen Kampf und die Organisierung der gesamten, multinationalen ArbeiterInnenklasse erfolgreich sein.
Diese Strategie ist das Konzept der revolutionären Integration. Es beruht auf folgenden Grundsätzen:
i) Unser Ziel ist die Erringung der internationalen Einheit der ArbeiterInnenklasse aller Länder und der internationalistischen Einheit der multinationalen ArbeiterInnenklasse in jedem einzelnen Land. Diese Einheit kann niemals durch Zwang hergestellt werden, sondern ausschließlich auf Grundlage der Freiwilligkeit und Gleichberechtigung. Letztlich wollen wir die nationalen Unterschiede aufheben und eine neue, sozialistische – eine wahre Menschheitskultur schaffen.
ii) Diese Einheit erfordert sowohl beharrliche Propaganda für den Internationalismus und gegen den Rassismus als auch den konsequenten Kampf für vollkommene Gleichberechtigung und volle demokratische Rechte für alle MigrantInnen. iii) Diese Einheit kann nur im gemeinsamen Klassenkampf, durch den gemeinsamen Klassenkampf und mittels der gemeinsamen Organisierung geschaffen werden. Sie muß als ein Prozeß verstanden werden, als ein langfristiges Ziel.
Revolutionäre Integration bedeutet nicht Assimilation, erzwungene Anpassung mit Hilfe staatlicher Zwangsmethoden. Sie bedeutet auch nicht multikulturelles, voneinander separiertes Nebeneinanderleben der verschiedenen Nationen. Sie bedeutet Kampf für die vollständige Gleichberechtigung der nationalen Gruppen, ihrer Sprache usw. und auf Basis dieses Kampfes ein freiwilliges, längerfristiges Zusammenwachsen von unten.
Da der Rassismus und die nationale Unterdrückung der MigrantInnen ein notwendiger Bestandteil des Kapitalismus ist, können diese nicht beseitigt werden, solange der Kapitalismus nicht durch eine sozialistische Revolution der in ihrem Charakter multinationalen ArbeiterInnenkasse gestürzt wird und alle Restelemente jeglicher Unterdrückung mit dem Aufbau eines neues sozialistischen Systems kontinuierlich absterben. Dies wiederum setzt den Aufbau einer in der ArbeiterInnenklasse verankerten revolutionären Partei und der Fünften Internationale voraus.
Programm
Die RKOB vertritt daher ein sozialistisches Programm gegen die Unterdrückung der MigrantInnen, das folgende Forderungen beinhaltet:
* Volle Staatsbürgerrechte für alle MigrantInnen – unabhängig davon, welchen Paß sie besitzen und ob sie EU-BürgerInnen sind oder nicht. (inklusive dem aktiven und passiven Wahlrecht auf allen – kommunal, regional und landesweit – Ebenen)
* Abschaffung aller Sondergesetze für MigrantInnen! MigrantInnen müssen gleichberechtigten Zugang haben zu den Ansprüchen auf alle Sozialleistungen.
* Sofortige Legalisierung aller illegal in Österreich Lebenden sowie die sofortige Freilassung aller Schubhäftlinge! Sofortige Abschaffung aller gesetzlichen Paragraphen zum Bleiberecht!
* Für die völlige Legalisierung der migrantischen ArbeiterInnen! Die Gewerkschaften müssen eine entschlossene Kampagne zur Organisierung der illegal Beschäftigten sowie der MigrantInnen im Allgemeinen betreiben. Für gleichen Lohn für gleiche Arbeit und für Gleichberechtigung am Arbeitsplatz! Weg mit dem Ausländerbeschäftigungsgesetz!
* Gemeinsamer Kampf des ÖGB mit den Gewerkschaften in West- und Osteuropa sowie der Türkei für eine Anhebung der Arbeits- und Lebensbedingungen!
* MigrantInnen müssen das Recht auf eigene Treffen in der Gewerkschaft und im Betrieb haben. Ebenso sollen MigrantInnen entsprechend ihrem Anteil unter den Beschäftigten direkt proportional im Betriebsrat bzw. in den Gewerkschaftsgremien vertreten sein.
* Wir kämpfen gegen die sich ausbreitende Hetze gegen moslemische MigrantInnen. Wir treten für das Recht auf freie Religionsausübung ein. Wir verteidigen daher das Recht von Moslems Moscheen zu bauen. Wir verteidigen auch das Recht von moslemischen Frauen, an ihrer Arbeitsstelle und jedem öffentlichen Raum eine Verschleierung (Kopftuch bis Burka) zu tragen! Genauso sagen wir: Niemand darf gezwungen werden, sich gegen seinen bzw. ihren Willen religiösen Vorschriften (wie z.B. das Tragen eines Kopftuches) zu beugen!
* Zerschlagt die faschistischen Organisationen! Verhindert jedes öffentliche Auftreten von FaschistInnen! Für den Aufbau von gemeinsamen Selbstverteidigungseinheiten der InländerInnen und MigrantInnen zum Schutz vor faschistischen und rassistischen Angriffen!
* Abschaffung von Deutsch als offizielle Amtssprache! Gleichberechtigte Anerkennung zumindest der häufiger verwendeten Sprachen der MigrantInnen in allen öffentlichen Institutionen (Behörden, im Unterricht in den Schulen und Universitäten usw.)! Massive Neueinstellung von MigrantInnen im öffentlichen Dienst, als LehrerInnen in Schulen usw.! Kostenlose Angebote für Sprachkurse (auch innerhalb der Arbeitszeit) für jede, zumindest von einer relevanten Minderheit in Österreich gesprochene Sprache auf freiwilliger Basis!
* Weg mit dem neuen Eisernen Vorhang für MigrantInnen an den Grenzen Österreichs und der EU! Offene Grenzen für alle!
Der hohe Anteil der MigrantInnen in der ArbeiterInnenklasse sowie ihre besondere Lage auf Grund ihrer Unterdrückung verleihen ihnen einen wichtigen Stellenwert im Klassenkampf und somit im Kampf für die sozialistische Revolution. Der Aufbau der revolutionären Partei muss daher notwendigerweise ein besonderes Gewicht auf die Organisierung von MigrantInnen legen.
Anmerkungen:
(1) Michael John: Die Zuwanderung im mitteleuropäischen Raum. Zur historischen Migration im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert; in: Johann Burger/Elisabeth Morawek (Hrsg.): Flucht und Migration. Die neue Völkerwanderung (1991), Informationen zur Politischen Bildung Nr. 2, Herausgegeben vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst, S. 19 bzw. 23.
(2) United Nations Department of Economic and Social Affairs, Population Division: Trends in International Migrant Stock: The 2008 Revision (2009), S. 1f.; United Nations Department of Economic and Social Affairs: World Economic and Social Survey 2004. International Migration (2004), S. 24 sowie IOM: World Migration 2005. Costs and Benefits of International Migration (2005), S. 396
(3) United Nations Department of Economic and Social Affairs, Population Division: Trends in International Migrant Stock: The 2008 Revision (2009), S. 3
(4) Siehe Yohannes Woldetensae: Optimizing the African Brain Drain - Strategies for Mobilizing the Intellectual Diaspora towards Brain-Gain (2007), S. 3
(5) Siehe den Bericht des House of Lords: Report - Economic Impact of Migration in UK (2008), S. 22
(6) Siehe Hans Gmundner: Straches Handlangerdienste, KPÖ, 10.11.07, http://www.kpoe.at/index.php?id=23&tx_ttnews[tt_news]=105&tx_ttnews[backPid]=2&cHash=7fe484e968
(7) Projektteam Integrationsmonitor (Theodora Manolakos, Karin König, Rainer Hauswirth, Kemal Boztepe): Monitoring Intergration Wien (2010), S. 103-105 (in der Statistik werden als österreichische Erwerbstätige auch jene MigrantInnen inkludiert, die bereits vor 1997 die Staatsbürgerschaft erhielten. Umgekehrt werden jene österreichischen StaatsbürgerInnen, die die Staatsbürgerschaft nach 1997 erhielten gemeinsam mit den MigrantInnen mit ausländischer Staatsbürgerschaft als MigrantInnen gezählt.)
(8) Siehe Österreichischer Integrationsfond: Integration im Fokus, Nr. 4/2008, S. 17
(9) Statistik Austria: Arbeits- und Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten in Österreich. Modul der Arbeitskräfteerhebung 2008 (2009), S. 47
(10) WIFO: Arbeitsmarktrelevante Effekte der Ausländerintegration in Österreich (2002), S. 273f.
(11) Statistik Austria: Arbeits- und Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten in Österreich. Modul der Arbeitskräfteerhebung 2008 (2009), S. 45
(12) Statistik Austria: Arbeits- und Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten in Österreich. Modul der Arbeitskräfteerhebung 2008 (2009), S. 77f.
(13) Siehe Statistik Austria und Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: Migration & Intergration. Zahlen.Daten.Indikatoren 2010 (2010), S. 56
(14) Franz Wolf-Maier, Margit Kreuzhuber: Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Schlüsselfaktor Beschäftigung; in: Bundesministerium für Inneres: gemeinsam kommen wir zusammen. Expertenbeiträge zur Integration (2008), S. 65. An dieser Stelle wollen wir auf die symbolhafte Ironie hinweisen, daß dieser über 200 Seiten starke Band des Innenministerium mit dem Titel „gemeinsam kommen wir zusammen“ es zustande bringt, daß sich unter den 16 AutorInnen kein einziger Migrant findet! So viel zum „gemeinsam zusammenkommen“ des bürgerlichen Staates!