Die SLP und der Schulstreik am 19.11.

Anmerkung der Redaktion: Unsere Organisation RKOB wurde von Mitgliedern, die vormals in der Liga für die Fünfte Internationale (LFI) organisiert waren gegründet. Den folgenden Text  zählt RKOB somit zu ihrem programmatischen Erbe.

 

Einige Argumente, warum die SLP ihre ablehnende Haltung zum Schulstreik am 19.11. umgehend ändern sollte

 

Von Michael Pröbsting

 

Wie bereits recht breit in den Medien berichtet wurde, ruft die Jugendorganisation REVOLUTION in Wien zu einer ersten Streikaktion gegen das Sparpaket auf. Konkret mobilisiert REVOLUTION für einen Schulstreik am 19.11. Die LSR, die mit REVOLUTION in enger politischer Solidarität steht, unterstützt diesen Schritt vorbehaltlos.

 

Am 6.11. fand ein Aktionseinheitstreffen zur Vorbereitung des Schulstreiks statt, zu dem REVOLUTION eingeladen hat. Bei diesem Treffen erklärte der Vertreter der Sozialistischen Linkspartei (SLP), das seine Organisation den Schulstreik – zumindest bis auf weiteres – nicht unterstützen könne.

 

Die Bedeutung des 19.11. als ersten Streiktag gegen das Sparpaket

 

Wir halten diese ablehnende Haltung der SLP gegenüber dem ersten Streiktag gegen das Sparpaket für vollkommen falsch und unverständlich. Wir haben nicht mehr viel Zeit im Kampf gegen das Sparpaket. In einigen Wochen – wahrscheinlich bis Weihnachten – ist die Entscheidung gefallen, ob die Regierung ihr 16 Milliarden-Sparpaket durchdrücken kann oder nicht. Ohne einen Generalstreik, der so lange dauert, bis das Sparpaket fällt, werden wir den Kampf verlieren. Einen solchen Generalstreik können wir als kleine Organisationen – das betrifft sowohl die LSR bzw. REVOLUTION als auch die SLP – natürlich nicht auf die Beine stellen. Dazu müssen die offiziellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung gedrängt oder besser gezwungen werden. Und dazu müssen wir an der Basis in möglichst vielen Betrieben, Schulen und Universitäten Aktionskomitees aufbauen.

 

Aber wie wollen wir auch nur ansatzweise, auch nur in die Nähe einer breiten Streikbewegung kommen, wenn wir nicht jetzt den ersten praktischen Schritt setzen?! Der 19.11. ist der erste solche Aktions- und Streiktag. An diesem Tag finden Schulstreiks in Wien, Linz und Wels statt und auch in anderen Städten wird es zu Protestdemonstrationen kommen. Kurz und gut: die Schulstreiks am 19.11. haben eine weit über den Schulbereich hinausgehende Bedeutung. Sie sind das erste große Signal für eine breite Streikbewegung gegen das Sparpaket.

 

Politische Ablehnung

 

Warum beteiligt sich die SLP nicht daran? Ist die SLP ein passiver Stubenhockerverein, dem ein Schulstreik zu aktivistisch ist? Nein, sicherlich nicht. SLP-AktivistInnen haben in der Vergangenheit wiederholt bewiesen, daß sie bei Demonstrationen zuverlässig und engagiert sind.

 

Nein, die Ursache für die – zumindest vorläufige – Ablehnung des Schulstreiks scheint uns woanders zu liegen, nämlich in einem falschen politischen Verständnis der SLP-Führung.

 

Dieses falsche Verständnis drückte der anwesende SLP-Vertreter bei dem Treffen bei seiner Begründung für die Ablehnung einer Unterstützung des Schulstreiks offen aus. Mit einem bemerkenswert Satz brachte er die ganze falsche Herangehensweise der SLP auf den Punkt: „Es ist nicht die Aufgabe der SLP, Stimmungen voranzutreiben, sondern bestehende Stimmungen aufzugreifen

 

Was ist die Aufgabe einer revolutionären Organisation und was nicht?

 

Genau hier liegt das grundlegende Problem der SLP begraben. Die SLP sieht ihre Aufgabe darin, „bestehende Stimmungen aufzugreifen“. Das heißt nichts anderes als abzuwarten, ob sich von selber Teile der ArbeiterInnen und Jugendlichen zu einem Streik entschließen bzw. die reformistische Bürokratie (in den Gewerkschaften, in der SJ usw.) einen solchen ausruft und wenn es so weit ist, dann „unterstützt“ die SLP diesen Streik.

 

Das ist eine politisch Haltung, die der Führer der russischen Oktoberrevolution 1917, Wladimir Illjich Lenin, als „Nachtrabpolitik“ bezeichnete. Diese nicht-revolutionäre, anpaßlerische Haltung, die Lenin scharf kritisierte und die leider auch auf die SLP-Führung zutrifft, faßte er in seiner Schrift „Was tun?“ mit folgenden Worten zusammen: „Wünschenswert ist der Kampf, der möglich ist und möglich ist der, der im gegebenen Augenblick vor sich geht.

 

Die SLP-Führung glaubt, es gebe keine „bestehende Stimmung“ für einen Schulstreik. Das ist eine unverständliche Einschätzung angesichts der Tatsache, daß 2/3 der Bevölkerung das Sparpaket ablehnen, daß am 28. Oktober 30.000 Menschen auf der Straße waren und daß nicht nur REVOLUTION, sondern selbst die SJ-Linz und SJ-Wels, die in der Vergangenheit nicht übermäßig streikfreudig waren, zu einem Schulstreik am 19.11. aufrufen!

 

Die LSR und REVOLUTION vertreten hier eine entgegengesetzte Haltung. Unserer Meinung nach muß eine marxistische, revolutionäre Organisation es sehr wohl als ihre Aufgabe ansehen, „Stimmungen voranzutreiben“. Es ist genau genommen eine der wichtigsten und vorrangigsten Aufgaben von RevolutionärInnen, „Stimmungen voranzutreiben“, sprich das bestehende Bewußtsein zu verändern. Ohne Veränderung des bestehenden Bewußtseins, ohne ein Hineintragen von kämpferischen, sozialistischen, revolutionären Ideen ist es unmöglich, die Gesellschaft zu verändern. Ja, eine revolutionäre Organisation kommt in Wirklichkeit ihrer Verantwortung als Avantgarde, als Speerspitze oder Vortrupp nicht im geringsten nach, wenn sie nicht „Stimmungen vorantreibt“, wenn sie nicht ein Bewußtsein unter den ArbeiterInnen und Jugendlichen dafür verbreitet, welche Forderungen, welche Kampfmittel notwendig und richtig sind, damit die Angriffe der Herrschenden zurückgeschlagen werden können.

 

Deswegen sagen wir offen – und versuchen eine solche „Stimmung zu verbreiten“ –, daß ein Generalstreik gegen das Sparpaket notwendig ist. Deswegen warten wir nicht, daß Streiks von selber passieren, sondern versuchen – soweit es unsere Kräfte erlauben – selber dazu beizutragen, damit es zu Streiks gegen das Sparpaket kommt. Im SchülerInnenbereich konnte die Jugendorganisation REVOLUTION in Wien durch ihre langjährige, beharrliche Arbeit eine gewisse Verankerung an Schulen aufbauen und stellt gegenwärtig sieben SchülervertreterInnen. Natürlich gibt es nie Garantien für den Erfolg eines Streiks. Wer auf Garantien wartet, wer auf die Initiative anderer wartet, um selber zu kämpfen, wird nie die Rolle einer revolutionären, vorantreibenden Organisation einnehmen können. Eine solche Organisation kommt dann über die Rolle einer Mitläuferin, eines Nachtrabers nicht hinaus.

 

Die SLP-Führung möchte leider nicht nur nicht den Schulstreik unterstützen. Sie treibt nicht „Stimmungen voran“, indem sie auf ihrer Homepage, auf Flugblättern usw. für die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit eines Schulstreiks eintritt. So existiert die absurde Situation, daß die SLP zwar eine Homepage mit dem Namen www.schulstreik.at betreibt, aber dort bislang kein einziges Wort über die Notwendigkeit von Schulstreiks gegen das Sparpaket oder gar über die Schulstreiks am 19.11. in Wien, Linz und Wels verliert!

 

Hier zeigt sich in der Praxis der Unterschied zwischen einer wirklich marxistischen und einer zentristischen – also zwischen marxistischer und reformistischer Politik hin und her schwankender, schwammigen – Organisation. LSR und REVOLUTION wollen „Stimmungen vorantreiben“, „Bewußtsein verändern“, möglichst viele Leute für den Streik gewinnen. Die SLP will lieber – wie es ihr Vertreter selber sagte – „bestehende Stimmungen aufgreifen“. Marx schrieb in seinen „Thesen über Feuerbach“, daß es die Aufgabe der Philosophen ist, die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern sie zu verändern. Voraussetzung der „Veränderung der Welt“ ist die Veränderung des Bewußtseins, das Vorantreiben der Stimmung. Jene, die nicht voranschreiten wollen bei der Veränderung des Bewußtseins, dem Vorantreiben der Stimmung, die lieber „bestehende Stimmungen aufgreifen“, an ein bereits verändertes Bewußtsein ansetzen, solche „MarxistInnen“ haben leider den Kerngedanken des Marxismus nicht verstanden.

 

Muß die SLP erst zum Streik gedrängt werden?

 

Wir hoffen, daß die SLP ihre Meinung ändert und den Schulstreik doch noch unterstützt. Und wir denken, daß die Chancen dafür auch recht gut stehen, denn wenn die SLP-Führung merkt, daß die Unterstützung an den Schulen für den Streik vorhanden ist, daß sogar die sozialdemokratische Jugend in Linz und Wels den Schulstreik unterstützen, dann wird sie ihr Beiseite-stehen nicht länger rechtfertigen können.

 

Aber eine Frage bleibt dann immer noch offen: Erfüllt eine solche Organisation, die erst zum Streik gedrängt werden muß anstatt in einem solchen eine vorantreibende Rolle zu spielen, erfüllt eine solche Organisation wirklich die Aufgabe einer revolutionären, marxistischen Organisation? Oder betreibt die SLP-Führung hier nicht viel mehr das, was Lenin als „Nachtrabpolitik“ bezeichnete?