Artikel von Johannes Wiener, Revolutionär-Kommunistische Organisation BEFREIUNG (RKOB), www.rkob.net, erschienen in der April Ausgabe der BEFREIUNG, Nummer 232, 2015
Alijew, ein Kapitalist der in Ungnade fiel
Hier zuerst eine Zusammenfassung des Falls Alijew. Rachat Alijew war ein kasachischer Kapitalist, Politiker und später Diplomat. Alijew war Verantwortlicher für die Steuerfahndung, sowie stellvertretender Vorsitzender des Geheimdienstes von Kasachstan. 2001 wurde er aller Wahrscheinlichkeit nach gezwungen zurückzutreten. 2002 wurde er als Botschafter nach Österreich geschickt und von 2005 bis Anfang 2007 war er Vize-Außenminister. Nachher war er kurze Zeit wieder kasachischer Botschafter in Österreich. Der Präsident von Kasachstan ist seit der Unabhängigkeit des Landes 1992 Nursultan Nasarbajew – er ist zufällig auch der Schwiegervater von Rachat Alijew. Im Jänner 2007 wurde Alijew Hauptaktionär der kasachischen Nurbank (die Nurbank hat eine Bilanzsumme die jede österreichische Bank weit übertrifft) und hielt 75% der Aktienanteile, sein Vater in etwa 6,7%. Mitte Jänner wurden zwei Manager der Nurbank entführt, um dann wieder freigelassen zu werden. Am Tag nach ihrer Entführung traten sie von ihren Posten zurück. Ende Jänner wurden die beiden Manager wieder entführt, tagelang gefoltert und schließlich ermordet. Kurze Zeit nach diesen Ereignissen flog Alijew nach Österreich um hier seine Botschaftstätigkeit aufzunehmen. Im Mai 2007 kam es zum Bruch mit Nasarbajew. Alijew wurde vorgeworfen zwei kasachische Bankmanager entführt zu haben und er wurde als Botschafter abgesetzt.
Kasachstan erlies einen Haftbefehl gegen Alijew, doch Österreich weigerte sich ihn auszuliefern. Alijew behauptete, dass er Opfer einer Verschwörung des kasachischen Regimes wäre, weil er an Einfluss gewonnen hätte und das Präsidentenamt anstrebte. 2007 wurde die Ehe von Alijew mit Dariga Nasarbajewa, der Tochter des Präsidenten in Abwesenheit und ohne das Einverständnis von Rachat Alijew geschieden. Seitdem ist die Unternehmerin Hauptaktionärin der Nurbank. Seit letztem Jahr ist Nasarbajewa Sprecherin des Mäschilis (des kasachischen Unterhauses).
Korruption für Nasarbajew in Österreich
Anfang 2008 wurde Rachat Alijew von einem kasachischen Gericht wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Im Mai 2007 verließ auch der ehemalige Vorsitzende des kasachischen Geheimdienstes (KNB) und ehemaliger Vertrauter von Alijew, Alnur Mussajew Kasachstan in Richtung Wien. Er wurde kurz nach der Verurteilung Alijews wegen der angeblichen Planung eines Staatsstreichs zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Auch er wurde nicht an Kasachstan ausgeliefert. Im Jahr 2008 gab es gegen seine Person zwei Entführungsversuche im 1.Bezirk, diese werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf den kasachischen Geheimdienst zurückzuführen sein. Auch ein kasachischer Diplomat soll in diese Entführungsversuche verwickelt gewesen sein – er wurde aus Österreich abgezogen und außerdem wurde ein österreichischer Polizist, der Daten an den KNB weitergegeben haben soll zu 8 Monaten Haft verurteilt. Gerüchte, die auch vom österreichischen Verfassungsschutz bestätigt werden kommen auf, dass FPÖ-Abgeordnete des Parlaments mit der KNB in Kontakt gestanden wären. Daraufhin setzte das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein. Wie nicht anders zu erwarten war, ist durch diesen bürgerlichen Disuktierverein, denn nichts anderes ist das Parlament, nichts über die Korruptionsvorwürfe und die Verstrickung von Abgeordneten und dem KNB ans Tageslicht gekommen.
Interessant ist auch, dass anscheinend die ÖVP sich recht stark auf die Seite von Alijew gestellt hat. Mussajew beschuldigte zum Beispiel Erwin Pröll (den Landeshauptmann Niederösterreichs und zentraler Führer der ÖVP), sich für Alijew einzusetzen. Gleichzeitig dürfte die SPÖ mit dem kasachischen Regime zu einem gewissen Grad verbandelt sein. So war der ehemalige Bundeskanzler, Alfred Gusenbauer, seit Anfang 2010 im Auftrag der OSZE „Berater“ des kasachischen Präsidenten Nasarbajew. Hinzu kommt, dass der SPÖ-nahe Wiener Anwalt Gabriel Lansky Rachat Alijew im Sommer 2010 die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen hat. Er vertritt außerdem die Witwe eines der ermordeten Manager der Nurbank, Armangul Kapaschewa. In ihrem Auftrag klagte er die Bezirkshauptmannschaft Horn, denn sie hatte Alijew und Mussajew ihre Aufenthaltstitel verliehen. Später ermittelte die Staatsanwaltschaft Wien gegen Lansky und Gusenbauer, wegen dem Verdacht Informationen an den KNB weitergegeben zu haben. Der Verein „Tagdyr“, der Witwen der verstorbenen Manager, höchst wahrscheinlich eine Tarnorganisation des KNB, soll Lansky zwischen 2009 und 2014 and die 14 Millionen Euro überwiesen haben.
Alijews Ende
Bis Mai 2011 waren die zwei Manager der Nurbank offiziell nur „verschwunden“ – man hatte ihre Leichen nicht gefunden. Doch nun tauchten sie auf, zufällig auf dem Gelände einer ehemaligen Firma von Alijew. Er beschuldigt den KNB die Beweise gefälscht zu haben. Nun verstärkt sich der Druck von Deutschland auf Österreich. Einflussreiche Kreise der deutschen herrschenden Klasse (z.B. der ehemalige CDU-Politiker Lothar de Maiziere) werfen Alijew vor Geld zu waschen und später auch an dem Mord bzw. an der Entführung der beiden Manager beteiligt gewesen zu sein. Nun ermittelt auch die österreichische Staatsanwaltschaft gegen Rachat Alijew. Mittlerweile lebte er auf Malta und hatte einen anderen Namen angenommen. Im Juni 2013 wurde sein Vermögen wegen dem Vorwurfs der Geldwäsche eingefroren, im November wird ihm der österreichische Fremdenpass entzogen. Im Juni 2014 wurde Alijew schließlich, nachdem ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wurde am Flughafen Schwechat festgenommen. 10 Tage später taucht ein dubioses Dokument auf, es wurde angeblich bei einer Hausdurchsuchung bei Mussajew gefunden, es soll ein schriftliches Geständnis von Alijew sein.
Ende 2014 wurden Alijew und Mussajew in Wien wegen Doppelmordes angeklagt. Anfang Jänner soll Alijew laut seinen Anwälten von zwei anderen Häftlingen erpresst worden sein, sie drohten ihm mit dem Tod. Ermittlungen gegen diese beiden Häftlinge werden eingeleitet. Am 24.Februar wird Alijew erhängt in der Dusche gefunden. An diesem Tag hätte er gegen die beiden anderen Häftlinge aussagen sollen.
Die Wirtschaft Kasachstans
Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein um bei diesem Fall an eine Verschwörung zu denken. Es ist wichtig diese Verschwörung insbesondere im Licht der zentralen Bedeutung Kasachstans zu sehen. Kasachstan ist das wirtschaftlich wichtigste Land Zentralasiens. Es hat große Erdöl/Erdgas und Mineralienvorkommen (z.B. Uran, Ferrochrom, Titan,…), eine wichtige Landwirtschaft, eine entwickelte Industrie (Traktoren, Waffen-Einzelteile,…) und eine Weltraum-Infrastruktur (der „Raumhafen“ Baikonur ist die weltweit einzige Station von der Menschen heute ins All gelangen können). Kasachstan produziert 35% des weltweiten Urans.
Kasachstan ist eine Halbkolonie, das bedeutet, dass es eine auf rechtlicher Ebene unabhängiges Land ist, aber wirtschaftlich und politisch von den Großmächten kontrolliert wird. Im Fall von Kasachstan sind das die EU, China und Russland sowie teilweise die USA. Im Fall der EU sind das vor allem Frankreich und Deutschland, diese Länder haben einen beträchtlichen wirtschaftlichen Einfluss in Kasachstan erreicht. Schon heute gehen 47% der kasachischen Exporte in die EU. Heute gehört Kasachstan trotz des starken russischen und chinesischen Einflusses zu den 15 wichtigsten „Handelspartnern“ der EU. Die Erdöl/Erdgas Produktion Kasachstans wird aber vor allem von amerikanischen multinationalen Konzernen dominiert (ChevronTexaco und ExxonMobile). Trotzdem kontrollieren Russland und China wichtige Sektoren der kasachischen Wirtschaft. So besitzt de facto Russland den „Raumhafen“ Baikonur, 70% aller russischen Raketen die ins All geschossen werden, starten von dort aus. Außerdem ist das Land Teil von internationalen „Zusammenschlüssen“, die versuchen die Einflussgebiete des russischen bzw. chinesischen Imperialismus abzustecken (sie sind Teil der „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, GUS“ und der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“).
Was ist passiert?
Kasachstan ist somit ein Spielball im Kampf um die wirtschaftliche Vorherrschaft in Zentralasien. Russland und China auf der einen, die EU auf der anderen Seite versuchen ihren Einfluss in diesem Gebiet auszudehnen. Das kasachische Regime hatte zufällig im Juni 2014, dem Monat als Alijew festgenommen wurde, ein neues investitionsfreundliches Gesetz beschlossen. Man kann davon ausgehen, dass gerade Unternehmen der EU massiv davon profitieren (eine 10-jährige Befreiung für ausländische Investitionen für die Körperschaftssteuer, eine 8-jährige Befreiung von der Grundsteuer und das 10-jährige Einfrieren der meisten anderen Steuern).
Natürlich können wir nur mit Indizien arbeiten, angesichts dessen, dass die meisten Informationen für den Fall Alijew in Akten hinter den verschlossenen und bewachten Türen des KNB und der österreichischen Behörden liegen. Doch den Eindruck, den ein denkender revolutionärer Arbeiter bzw. Arbeiterin von der Sache gewinnen wird ist folgender: Vor 2011 war der EU-Imperialismus skeptisch gegenüber dem kasachischen Regime, vielleicht hatte er sogar auf Alijew gesetzt um Nasarbajew der zwischen Moskau, Peking und Berlin/Paris zu herummanövrieren versuchte durch einen „ihrer Leute“ zu ersetzen. Offensichtlich fühlte sich Nasarbajew von Alijew und seiner steigenden wirtschaftlichen und politischen Macht stark bedroht. Ob die Entführung der Manager so stattgefunden hat oder nicht ist hierbei irrelevant. Es kann sein, dass Alijew dies wirklich angeordnet hatte um seine Machtposition in der Nurbank noch weiter auszubauen und dieser Schritt eine Reaktion der herrschenden Schicht des Regimes provozierte. Es kann auch sein, dass der KNB für die Entführung und den Mord verantwortlich gewesen ist, um es Alijew in die Schuhe zu schieben und einen unliebsamen Konkurrenten loszuwerden. Es ist auch möglich, dass Alijew die erste Entführung anordnete und Nasarbajew dies als Vorwand nahm und die zweite Entführung und den Mord anzuordnen. Unter dem Strich bleibt stehen: drei Kapitalisten wurde durch eine Fehde innerhalb der herrschenden Klasse Kasachstans umgebracht.
Es besteht die Möglichkeit, dass in den ersten Jahren nach 2007 Allijew und Mussajew wirklich versuchten Nasarbajew abzusetzen oder eine „Palastrebellion“ anzuzetteln. Dies würde den glühenden Hass des kasachischen Regimes gegen sie erklären (mehrere Entführungsversuche nachdem sie entmachtet waren). Die EU und mit ihr der österreichische Staat scheint diese Versuche von Alijew und Mussajew geduldet, aber zumindest nicht stark unterstützt zu haben, wollten sie sich doch ihre Investitionsmöglichkeiten in Kasachstan nicht verbauen. Nach 2008 dürfte die herrschende Klasse zuerst Deutschlands und dann Österreichs erkannt haben, dass Alijew sie bei ihren Geschäften mit Kasachstan mehr stört, als er ihnen vielleicht irgendwann in Zukunft nützen könnte. Ihre Haltung änderte sich dann insofern, dass sie ihn zwar noch duldete aber ihm zu verstehen gab, dass er seine Ambitionen in Kasachstan begraben sollte. 2011 beginnt dann Alijews „halblegale“ Phase in der EU. War er vorher noch ein respektabler Gesprächspartner für herrschende Kreise in Österreich, so musste er sich nach Malta absetzen und dort unter neuem Namen leben. 2014 dürfte es dann einen „Deal“ zwischen dem kasachischen Regime und der EU gegeben haben. Teil dieses Deals war offensichtlich, dass Alijew für lange Zeit hinter Schloss und Riegel kommt und die EU Präsident Nasarbajew als „legitimen“ Statthalter in Kasachstan anerkennt.
Trotz dieser Mutmaßungen, die sich aufdrängen, bleibt es fraglich wie genau die Umstände von Alijews Tod zu bewerten sind. Möglich ist, das dies wirklich schlicht und einfach Häftlinge waren, die sich erhofft haben von einen reichen Mitgefangenen Geld zu erpressen. Es ist aber natürlich auch möglich, dass der KNB diesen Fall beenden wollte, da in weiterer Folge eines Prozesses unangenehme Enthüllungen aufgetaucht wären (unter Umständen auch für einen Teil der herrschenden Klasse in Österreich).
Wofür wir stehen!
Wir fordern, dass eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt wird, die das Vertrauen der Arbeiterbewegung genießt. Sie soll prüfen inwiefern Teile der herrschenden Klasse oder Parlamentsabgeordnete persönlich mit den KNB verbandelt gewesen sind. Außerdem muss ermittelt werden, wie Geld gewaschen wurde, wie die Korruption erfolgt ist und welche Unternehmen oder Einzelpersonen davon profitiert haben. Alfred Gusenbauer und Co. sollen vor ein Arbeitertribunal gestellt werden, dort soll er sich rechtfertigen über seine Zusammenarbeit mit dem kasachischen Regime und seine imperialistischen Machenschaften, die er heute in Serbien verfolgt.
Enteignung aller ausländischen Konzerne, die in Kasachstan operieren und Verstaatlichung dieser Konzerne unter Kontrolle der kasachischen Arbeiter und Arbeiterinnen. Außerdem: Sofortige Offenlegung ihrer Geschäftsbücher.
Wir lehnen jede imperialistische Einmischung und Ausbeutung Kasachstans ab, egal ob sie von der EU, der USA, Russland oder China kommt. Die Wirtschaft und die Geschicke Kasachstans dürfen nur durch das kasachische Volk gelenkt werden und nicht durch ein Marionettenregime, das von imperialistischen „Beratern“ gelenkt wird.
Weder Nasarbajew noch Alijew – wir mischen uns in die persönlichen Fehden innerhalb der herrschenden Klasse nicht ein, indem wir den einen Flügel gegenüber den anderen verteidigen oder gar unterstützen! Für den Aufbau einer revolutionären Bewegung der Arbeiter, Arbeiterinnen und Unterdrücken Kasachstans. Nieder mit dem Regime Nasarbajew! Für volle demokratische Rechte, für Freiheit der gewerkschaftlichen Organisierung und Streikrecht! Für den Sturz des Nasarbajew-Regimes durch eine Revolution und den Aufbau einer Regierung der Arbeiterklasse und der armen Volksmassen!
Die RCIT (Revolutionary Communist International Tendency) strebt die engst mögliche Zusammenarbeit mit allen Revolutionären und Revolutionärinnen Kasachstans an.
Quellen:
http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2006/september/tradoc_113406.pdf
http://www.doingbusiness.org/data/exploreeconomies/kazakhstan/
http://www.world-nuclear.org/info/Country-Profiles/Countries-G-N/Kazakhstan/#.UayAdpVXI65
http://diepresse.com/home/panorama/wien/4670309/Chronologie_Der-Fall-Alijew-
https://news.mail.ru/inworld/kazakhstan/society/13313899/?frommail=1
http://derstandard.at/r1392687266747/Causa-Alijew
http://www.rog.at/kasachischer-geheimdienst-verhaftet-journalisten-im-krankenhaus.html