Resolution zu den Anschlägen am 11.9.2001
Stoppt die militärische Vergeltung der USA und der NATO! Kampf der imperialistischen Heuchelei! Nein zum individuellen Terrorismus!
Zum 10. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 veröffentlichen wir eine Stellungnahme, die wir damals in der internationalen Leitung der Liga für eine revolutionär-kommunistische Internationale (LRKI) unmittelbar nach den Ereignissen diskutierten und annahmen. Die RKOB setzt heute die revolutionäre Tradition der LRKI/LFI nach deren Degeneration in den Linkszentrismus fort. (die Redaktion, 12.9.2011)
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Die abscheulichen Angriffe und die Tötung tausender Menschen in New York am 11. September haben Millionen weltweit einen Schock versetzt.
Revolutionäre Kommunistinnen und Kommunisten verurteilen den Angriff auf das World Trade Centre und das Massaker an Zivilisten, weil solche Aktionen den Kampf gegen die weltweite Dominanz der USA keinen Schritt weiter bringen.
Noch ist nicht bekannt, wer diese Angriffe individuellen Terrorismus organisiert hat, doch inmitten der Welle von Wut und Schmerz darf eines nicht vergessen werden:
Der Angriff ist eine Folge der Taten der USA selbst, die Hass und Empörung bei Millionen Menschen hervorgerufen haben. Deswegen, weil die USA die Welt beherrschen, Millionen Menschen zu einem Leben in Armut und Schulden verdammen und sich hinter unterdrückerische Regimes und die Verletzung von nationalen, demokratischen und Menschenrechten stellen.
In den letzten zehn Jahren haben die Streitkräfte der USA und ihrer Verbündeten in der NATO die Zivilbevölkerung von Ländern wie Irak oder Serbien niedergebombt und ausgebrannt, weil sie es wagten, sich gegen sie zu stellen.
Die westlichen Medien beeilten sich, die Schuld für die Angriffe auf New York und Washington jenen anzulasten, die sich gegen die von den USA mitgetragene Unterdrückung im Nahen Osten zur Wehr setzen. Sollte sich dies als wahr herausstellen, so sind revolutionäre Kommunistinnen und Kommunisten – die danach trachten, den globalen Kapitalismus und seine US-amerikanische Supermacht zu stürzen – der Ansicht, dass isolierte terroristische Angriffe und Massaker an Zivilisten diesen Kampf real zurückwerfen werden.
Während wir entschlossen unsere Unterstützung für den palästinensischen Befreiungskampf und jeden Widerstand gegen den Imperialismus aufrecht erhalten, müssen wir feststellen, dass solche Taktiken dem imperialistischen Feind direkt in die Hände spielen.
Nicht jeder Mensch auf dieser Welt begegnete diesen Ereignissen mit Ablehnung. Jene, die unter den Auswirkungen der us-amerikanischen Cruise-Missile-Angriffe auf Bagdad oder Belgrad gelitten haben oder ihnen beiwohnen mussten, oder jene Familien der 700 oder mehr Palästinenser, die mit aus den USA gelieferten Waffen einschließlich der Apache- Kampfhubschrauber getötet wurden, waren verständlicherweise erfreut darüber, dass die einzige Supermacht der Welt nicht unverwundbar ist.
Sie sehen im World Trade Centre ein Symbol des Finanzkapitals und eine Einrichtung der Eliten, die die weltweiten Ressourcen ausplündern. Das Pentagon ist für sie die Kommandozentrale für den laufenden Krieg der USA gegen den Irak, Afghanistan und zur militärischen Unterstützung Israels. Je nach dem, wer den Anschlag auf das Pentagon durchgeführt hat, könnte das Pentagon tatsächlich ein legitimes Ziel für die Kräfte im Kampf gegen US-Angriffe sein.
Doch terroristische Methoden, die die US-amerikanische Arbeiterklasse entfremden und die antikapitalistische Bewegung verwirren, sind kein Weg zur Niederschlagung des US-Imperialismus. Beim Angriff auf das World Trade Centre wurden tausende, oft schlecht bezahlter Büroangestellter und Feuerwehrleute umgebracht. Die US-amerikanische Arbeiterklasse kann – wie in der Antikriegsbewegung der 1960er Jahre – eine enorme Hilfe für jene sein, die gegen den Imperialismus kämpfen. Aus diesem Grund war solch ein Angriff reaktionär. Mitglieder der Finanzelite, die vom Feuersturm hinweggerafft wurden, können ersetzt und Bürogebäude wieder aufgebaut werden.
Übelerregende Heuchelei
Doch in seinem Ausdruck von Schock und in seinen monströsen Drohungen nach Vergeltung macht sich Bush der gröbsten Heuchelei schuldig.
Er steht an der Spitze eines Staates, der – mittels IWF und anderer globaler Finanzinstitutionen – jährlich hunderttausende Kinder an Armut, vermeidbaren Krankheiten und durch Waffen sterben lässt, die an alle Konfliktparteien verkauft werden und deren Konflikte gerade eine Folge der Verarmung sind.
Als erster Mann eines Staates, der Israel in jedem Schritt unterstützt, wenn das palästinensische Volk unterdrückt wird, ihre Führer gemeuchelt, deren Häuser dem Erdboden gleich gemacht und sie Schritt für Schritt von ihrem Land vertrieben werden, hat er kein Recht, irgendjemanden über barbarisches Verhalten zu belehren.
Doch er ist nicht allein mit seiner Heuchelei. Die Europäische Union ist sofort in den Kanon der USA eingefallen und unterstützt Bushs Behauptung, dass der Angriff nicht der US-Regierung, der Finanz- und Militärmacht gegolten habe, sondern gegen Freiheit und Demokratie weltweit gerichtet sei. Das ist eine Lüge. Sie verdeutlicht die Mittäterschaft der Europäischen Union bei den Verbrechen der US-imperialistischen Politik weltweit.
Die Medien haben das Ereignis zum schlimmsten Terrorakt der Geschichte erkoren. Das stimmt jedoch nur, wenn man den Holocaust, den Krieg Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion, die Bombenangriffe auf Dresden, Hamburg, Tokio und Hanoi außer acht lässt, die atomare Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki sowie die Bombardierung Bagdads im Golfkrieg – Verbrechen, die von den USA und ihren imperialistischen Helfern begangen wurden.
Ihr Wolfsgeheul und ihre Krokodilstränen enthüllen nur die Doppelmoral der kapitalistischen Politiker und Kommentatoren. Sie vergossen keine Träne, als die USA mit ihren Sanktionen seit 1991 500.000 irakische Kinder töteten, als sie TV-Sender, Krankenhäuser, Personenzüge und Wohnblöcke in Belgrad bombardierten. CNN und BBC interviewten damals nicht hunderte Familien der Opfer und auch die Boulevardpresse zeigte keine Bilder von den Zerstörungen dieser Städte.
In den USA müssen die Arbeiterklasse und die radikale Jugend, sobald sie sich vom Schock der Ereignisse erholt haben, zur Erkenntnis gelangen, warum die USA bei millionen Menschen weltweit verhasst sind. Sie sind verhasst als globale Supermacht und als selbst ernannte Polizei, als globaler Wirtschaftsboss, der die harten Gesetze der Weltwirtschaft erstellt und durchsetzt.
Natürlich ist es falsch, das ganze Volk mit dieser winzigen herrschenden Klasse gleichzusetzen. Doch das Vorbild dafür hat das Weiße Haus selbst gegeben, als es das gesamte irakische Volk ein Jahrzehnt oder das kubanische vierzig Jahre lang bestrafte.
Solange die militärische Macht der USA und ihrer Verbündeten jeden Widerstand überwältigt, solange es keine Gerechtigkeit für Palästinenserinnen und Palästinenser gibt, wird es Kämpfer geben, denen jede Verzweiflungstag, jedes Mittel recht ist, um sich zur Wehr zu setzen. Wenn die Bevölkerung der USA die Möglichkeit zukünftiger Katastrophen ausschließen will, muss sie den Kampf gegen ihre Regierung und deren imperialistische Außenpolitik aufnehmen.
Die Arbeiterklasse und die antikapitalistische Bewegung sollten Bushs eigennützigen Ruf nach Rache zurückweisen. Die von ihm gewählten Opfer werden sich in der Zielgebieten von größter wirtschaftlicher und strategischer Bedeutung für die USA befinden – also in und um die Ölfelder des Nahen Ostens.
Bush, Blair und die NATO sind dabei, blutige Rache für die Angriffe auf die USA auszuhecken. Die Opfer werden unschuldig sein, so wie die Opfer Clintons im Sudan oder in Afghanistan oder jene Blairs und Schröders im Kosovo oder in Serbien.
Was müssen die Arbeiterbewegung und die antikapitalistische Bewegung tun?
Wir rufen alle Arbeiterinnen und Arbeiter auf, die Trauer für die unschuldigen US-amerikanischen Beschäftigten, die am 11. September umgekommen sind, mit dem Gedenken an die Opfer der US-Außenpolitik in Lateinamerika, am Balkan, im Nahen Osten und weltweit zu verbinden!
Der beste Weg zum Schutz der Masse der Bevölkerung in den USA und anderen imperialistischen Länder gegen weitere Angriffe ist, der bereits mächtigen antikapitalistischen Bewegung eine viel klarere antiimperialistische Ausrichtung zu geben, Hunderttausende gegen Bushs und Blairs „Krieg gegen den Terrorismus“ zu mobilisieren und den palästinensischen Kampf gegen die israelische Neubesetzung der Städte und Dörfer der West Bank zu unterstützen.
Die Antikriegsbewegungen der 1960er und 1970er Jahre sollten uns als Vorbild dienen. Gemeinsam mit dem heroischen Kampf der Vietnamesinnen und Vietnamesen wirkte sie jahrelang als wesentliche Abschreckung für neuerliche US-amerikanische Militäraggressionen.
Die negativen Auswirkungen der Ereignisse vom 11. September werden in den USA zu spüren sein, wenn die erniedrigten Kräfte des FBI, des CIA und des Repressionsapparates demokratische Rechte niederschlagen und Hexenjagden gegen vermeintliche „Terroristen“ lancieren. Der antiarabische Rassismus und der Antiislamismus, die in allen imperialistischen Ländern beheimatet sind, werden auf arabische Amerikanerinnen und Amerikaner ungezügelt losgelassen. International wird sich der Staat Israel bestärkt fühlen und noch barbarischere Angriffe auf die Palästinenser durchführen.
Die Arbeiterbewegung und antikapitalistische Jugend der ganzen Welt müssen jenen zu Hilfe kommen, die von Bush und Blair als Ziel ihrer Rache ins Visier genommen werden. Jene von uns, die in den imperialistischen Kernländern leben, müssen die größten Terroristen entlarven – nicht Bin Laden oder Saddam Hussein, sondern Bush, Blair, Schröder.
Erst dann werden unsere Worte ihrer Bedeutung gerecht, wenn wir den wütenden und leidenden Opfern des „zivilisierten“ Massenterrors und der „demokratisch“ aufgezwungenen Hungerpolitik sagen, dass die Arbeiter und Jugendlichen Nordamerikas und Europas ihre besten Verbündeten sind. Gemeinsam und mit den Mitteln des Massenkampfes können wir einander helfen zu siegen – Kapitalismus und Imperialismus zu stürzen und nicht nur seine Symbole.
Eine neue Periode von Wirtschaftskrisen, Krieg und Klassenkampf
Die Ereignisse vom 11. September zeigen auf krasseste Weise, dass Globalisierung und konkurrenzlose Weltvorherrschaft der USA keine neue Ära von Frieden und Überfluss eingeleitet haben. Wir stehen am Beginn einer Periode dramatischer Instabilität, in der Hass und extreme Ablehnung, die durch die imperialistische Politik, durch globale Ungleichheit und nationale Unterdrückung hervorgerufen werden, Individuen sowohl zu verzweifelten Gewaltakten als auch zu kollektivem Widerstand führen können.
Die USA säen die Keime zukünftiger Konflikte und garantieren so, dass das 21. Jahrhundert ebenso gewalttätig und blutig sein wird wie das letzte.
Doch der individuelle Terrorismus ist weder die einzige noch die wichtigste Form des Widerstandes gegen die globale US-Hegemonie. Weltweit nehmen neue Massenbewegungen Gestalt an. Im Gegensatz zu den Tätern vom 11. September wenden sich diese Bewegungen in ihren Aktionen nicht gegen die Masse der Bevölkerung, sondern gegen unsere kapitalistischen Herren.
Sie arbeiten nicht mit isolierten Verschwörungen, sondern versuchen, Millionen Menschen in einer Massenbewegung zu mobilisieren. Sie verstecken ihre Ziele nicht, sondern deklarieren sie offen. Sie trachten nicht nach „Rache“, sondern nach Befreiung vom kapitalistischen System.
Sie nennen ihren wahren Feind beim Namen – Kapitalismus und Imperialismus. Und sie organisieren sich global, bringen Arbeiterklasse, Jugend und Arme aller Nationen zusammen in einem Kampf zur Befreiung der ganzen Welt vom Kapitalismus.
Vom Erfolg dieser Bewegung und ihrer Fähigkeit, den Kapitalismus zu stürzen, hängt das Schicksal der Gesellschaft ab. Solange dieses Werk nicht getan ist, werden die Ereignisse des 11. September bei weitem nicht die letzten dieser Art auf dem Erdball sein.
Stellungnahme der Liga für eine revolutionär-kommunistische Internationale (LRKI)
13. September 2001