Das Erbe von Clara Zetkin
Von Nina Gunić
Es gibt nicht viele Frauen, die in der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung Berühmtheit erlangten. Die bekanntesten weiblichen Figuren der letzten 160 Jahre Klassenkampf sind eindeutig Rosa Luxemburg und Clara Zetkin.
Doch was hat Zetkin ausgezeichnet, damit sie so bekannt wurde? Bevor diese Frage auch nur ansatzweise beantwortet werden kann, muss eine andere Frage gelöst werden: Wie kommt es, dass es nur so wenige Frauen gibt, die in diesen eineinhalb Jahrhunderten als Führerinnen der ArbeiterInnenbewegung bekannt wurden?
Die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau ist eine Jahrtausende zurückreichende und zieht sich durch sämtliche Klassengesellschaften der Vergangenheit. Vor der Industrialisierung, vor der Entwicklung des Kapitalismus war die Unterdrückung der Frau sehr eng mit den fehlenden Möglichkeiten der Versorgung der gesamten menschlichen Gesellschaft verbunden. Mit der Entwicklung des Privateigentums und damit einhergehend der Entwicklung von Klassen, entwickelte sich die Frauenunterdrückung. Die aus der Urgesellschaft hervorgegangene Arbeitsteilung unter den Geschlechtern, die in dieser keinerlei Unterdrückung des einen oder anderen Geschlechts bedeutete, bildete die Grundlage für die Hierarchie des Zugriffes auf Vorräte und deren Verteilung.
In diesem Entwicklungssprung der menschlichen Gesellschaft war es das weibliche Geschlecht, das den Kürzeren zog. Die folgenden Klassengesellschaften hatten alle gemeinsam, das sie vom Stand der eigenen Produktionsweise her, ihren Produktionsmitteln, nicht fähig waren, die Menschheit ausreichend zu versorgen. Es gab einen permanenten Mangel an Lebensmitteln, die für das gesamte Leben aller lebenden Menschen ausreichen würden. Es handelte sich somit um Mangelgesellschaften. Doch mit der sogenannten industriellen Revolution, mit der Entstehung der heutigen Klassengesellschaft – dem Kapitalismus – gelang der Menschheit erstmals in ihrer gesamten Geschichte: Die Entwicklung einer Überflussgesellschaft, die fähig ist, eine gesamte Population auf hohem Niveau zu erhalten.
Die Entwicklung der Produktionsmittel ist heute somit auf einen Stand, der die komplette Versorgung aller Menschen ermöglicht. Laut der UNO-Welternährungsorganisation FAO wäre es sogar möglich, ohne Schwierigkeiten 12 Milliarden Menschen zu ernähren. Gleichzeitig aber sterben nach wie vor Millionen Menschen an Hunger und Durst, (heilbaren) Krankheiten, usw. Obwohl also der Stand der Produktionsmittel Reichtum für alle Menschen ermöglichen kann, gibt es nach wie vor massive Armut für eine klare Mehrheit der Menschheit. Diese Tatsache hängt mit dem Bestehen des Klassensystems zusammen, dass eine kleine Minderheit an Menschen in absoluten, wahnwitzigen Überfluss leben lässt. Die Bourgeoisie ist eben die Klasse der Minderheit, die ihr eigenes Leben auf den Schultern der unterdrückten Klassen, der ArbeiterInnenklasse und der Bauernschaft auslebt.
Doch die Entwicklung einer ArbeiterInnenklasse im Laufe der Entwicklung des kapitalistischen Systems, war der erste Befreiungsschlag für das weibliche Geschlecht. Es bedeutet nämlich den Schritt der Frau raus aus der häuslichen Kleinproduktion hinein in den gesamtgesellschaftlichen Arbeitsprozess. Clara Zetkin schrieb dazu in „Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart“ aus dem Jahr 1889: „Die Produktionsverhältnisse haben die Stellung der Frau in ihrer ökonomischen Grundlage revolutioniert, ihrer Tätigkeit als Haushälterin und Erzieherin in der Familie die Berechtigung, ja die Möglichkeit beraubt. Die Produktionsverhältnisse haben gleichzeitig mit der Zerstörung der alten Tätigkeit der Frau innerhalb der Familie das Fundament zu derer neuer Tätigkeit innerhalb der Gesellschaft gelegt. Die neue Rolle der Frau bewirkt ihre ökonomische Unabhängigkeit vom Manne, versetzt damit dessen politischer und gesellschaftlicher Vormundschaft den Todesstoß. Die vom Manne befreite Frau gerät jedoch in der heutigen Gesellschaft in die Abhängigkeit von Kapitalisten, sie wird aus einer Haus- zu einer Lohnsklavin.“
Der erste Befreiungsschlag des weiblichen Geschlechts war somit der massenhafte Eintritt der in den gesellschaftlichen Arbeitsprozess und damit ihre Entwicklung als aktiver Teil der ArbeiterInnenklasse. Eine Frau aber, die Lohnarbeit verrichtet, wechselt zwar den Herrn, bleibt aber Sklavin. Zetkin macht das mit ihrer Charakterisierung des Übergangs von der „Haus- zur Lohnsklavin“ deutlich.
Der Entwicklungsspielraum der Frau hat sich dennoch massiv erweitert. Schon im alten Rom hatten die Sklaven, die im öffentlichen Bereich tätig waren mehr Freiheiten und Möglichkeiten als die Hausklaven, ohne deswegen dem Dasein als Teil der Sklavenklasse massenhaft entfliehen zu können. Auch die Frau bekam immer mehr politische und gesellschaftliche Freiheiten zugesprochen durch ihren Eintritt in die ArbeiterInnenschaft und die Teilnahme an den Kämpfen ihrer Klasse gegen die Kapitalisten.
Die Jahrtausende andauernde und nach wie vor bestehende Unterdrückung des weiblichen Geschlechts hat unter anderem auch folgende Konsequenz: Trotz ihrer massenhaften Teilnahme an der ArbeiterInnenbewegung, an Revolutionen der Vergangenheit und Gegenwart, sind weniger Frauen als Männer für ihre Taten im Kampf zur Befreiung der ArbeiterInnenklasse bekannt. Es waren die Männer, ÜBER die Geschichte geschrieben wurde, während die Frauen der ArbeiterInnenklasse zusammen mit den Männern ihrer Klasse die Geschichte machten. Auch die Tätigkeiten, die Frauen in revolutionären Parteien hauptsächlich verrichteten, wurden kaum bis gar nicht dokumentiert. Es waren ebenso Frauen, die in der Revolution in Russland 1917 wie auch den späteren Jahren des Bürgerkrieges, Bataillone von Soldaten und Matrosen anführten. Es waren vor allem auch Frauen, die in der Partei der russischen RevolutionärInnen, der Bolschewiki, den Motor der Parteiarbeit durch ihre organisatorischen Tätigkeiten am Laufen hielten. Alleine Nadeshda Krupskaja – in erster Linie als Frau von Lenin bekannt, obwohl sie eine eigenständige politische Figur war – hat soviel an Parteimaterial chiffriert und dechiffriert in der Zeit der Illegalität, dass sich Regale damit füllen lassen. Eine Arbeit, die in der Illegalität unersetzlich ist und wenn sie nicht gemacht worden wäre auch den Untergang der Partei bedeutet hätte. Doch die Tätigkeiten, die vor allem von den revolutionären Frauen verrichtet wurden, genossen und genießen auch heute noch weniger Anerkennung als die Tätigkeit der revolutionären Männer.
Das gilt es von Grund auf zu ändern. Unsere Aufgabe besteht unter anderem darin, innerhalb der ArbeiterInnenbewegung einen radikalen Umbruch herbeizuführen. Die Beiträge, die Frauen zur Befreiung der ArbeiterInnenklasse leisten müssen von der ArbeiterInnenbewegung im höchsten Maße anerkannt werden.
Unsere Organisation – die Revolutionär-Kommunistischen Organisation zur Befreiung (RKOB) – hat es sich zur Aufgabe gemacht, die nur allzuoft vergessenen Beiträge der Frauen im mehr als eineinhalb Jahrhunderte währenden Befreiungskampf des Proletariats, bekannt zu machen.
So ehren wir nun Genossin Clara Zetkin mit der Herausgabe einiger Artikel von ihr, sowie eines kurzen Abrisses über ihr Leben, weil sie viel leistete für die ArbeiterInnenbewegung und eine bedeutende Persönlichkeit war. Die Ehre aber gebührt in ebensolchen Maße auch allen Arbeiterinnen, gebührt allen revolutionären Frauen, die ihr Leben der politischen Arbeit hingaben mit dem Ziel die ArbeiterInnenklasse zu befreien. Ihre Taten bleiben, und es wird die Aufgabe unserer Generationen sein, ihr Erbe weiterzutragen. Die Aufgabe unserer Generationen wird es aber auch sein, dafür Sorge zu tragen, dass die zukünftigen sozialistischen Gesellschaften, die es mit dem Mittel der Revolution zu erkämpfen gilt, die Taten dieser Frauen sowie ihre Person selbst bekannt machen. Denn es ist nicht nur die eine oder andere Heldin von uns, die diesen Kampf zu führen hat. Wir haben ihn alle zu führen - alle, die wir unseres Klassendaseins bewusst sind und uns mit unseren Klassenbrüdern und –schwestern, mit allen Unterdrückten auf der Welt von dem Joch der Unterdrückung befreien wollen! Diesem Ziel hat sich die RKOB verschrieben.
Leben und Wirken von Clara Zetkin
Clara Zetkin wurde als Clara Josephine Eißner in Sachsen am 5. Juli 1857 geboren. Wie so viele Revolutionärinnen wurde auch Clara Pädagogin und trat damit in die Fußstapfen ihres Vaters.
Sie wurde sehr früh, im Alter von 21 Jahren, Mitglied der SAPD - Sozialistischen Arbeiterpartei in Deutschland (später umbenannt in SPD). Ihren Nachnahmen änderte sie ihn „Zetkin“, weil ihr Lebenspartner, ein russischer Revolutionär, mit Nachnahmen Zetkin hieß. Sie behielt seinen Nachnamen zeitlebens bei, obwohl er bald verstarb und sie in späteren Jahren einen anderen Mann heiratete.
Als die II. Internationale aufgebaut wurde, war Clara Zetkin 32 Jahre alt und eine der MitbegründerInnen. Sie lernte auch den Begründer der Dritten Internationale, Wladimir Lenin, im Jahre 1907 kennen und schloss sich dieser an. Sie war somit zuerst Mitglied der SPD, wurde eine Mitbegründerin der USPD sowie später führendes Mitglied der KPD.
Zu großer Berühmtheit gelangte Clara Zetkin aber insbesondere durch ihre Rolle im Aufbau der proletarischen Frauenbewegung. Noch heute wird ihr der Verdienst der Einführung des internationalen Frauentages, dem 8. März, zugesprochen, der erstmals 1911 begangen wurde. Sie hatte sich für die Organisierung eines solchen Tages auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1910 in Kopenhagen eingesetzt. Anlass dazu war der Erfolg des nationalen Frauentages in den USA im Jahr davor. Drei Jahre zuvor war sie zur politischen Sekretärin der neu gegründeten sozialistischen Fraueninternationale gewählt worden.
Sie gab bis zum Jahre 1917 als Chefredakteurin die Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ heraus, bevor sie auf Grund ihre Teilnahme an der Abspaltung von der SPD und der Gründung der USPD abgesetzt wurde. Mit der Abspaltung endete diese insgesamt 26 Jahre lange Tätigkeit als Chefredakteurin, die sie in diesem Zeitraum auch in der Vorläuferin der Zeitschrift „Die Gleichheit“, nämlich in der Zeitung „Die Arbeiterin“ erfüllte. Es handelte sich somit um ein großes politisches Opfer, das Zetkin aus ihrer Überzeugung heraus über die Richtigkeit der Kritik an der SPD auch bereit war zu geben. Gerademal zwei Jahre später, 1919, war Zetkin nicht nur ein führendes Mitglied in der KPD, sondern wurde auch zur Herausgeberin der kommunistischen Frauenzeitung „Die Kommunistin“.
Sie war aber nicht nur national eine bedeutende Figur, sonder spielte auch nach der Spaltung von der II. Internationale eine wichtige Rolle in der Dritten Internationale. Sie war sogar über 12 Jahre hinweg Mitglied des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale. In vielen politischen Fragen hatte Zetkin zeitweise falsche Positionen bezogen. Sie war auch in der Zeit der stalinistischen Degeneration zwar kritisch gegenüber diversen Positionen der Kommunistischen Internationale. So hatte sie Kritik an der absurden Sozialfaschismustheorie von Stalin. Doch sie war nicht konsequent genug auch die politischen Schlussfolgerungen mitzutragen, die von der Linken Opposition unter Leo Trotzki ausgearbeitet wurden. Sie starb 1933 im Alter von 76 Jahren in der Sowjetunion und wurde in Moskau beigesetzt.
Es sind die Sieger, die Geschichte schreiben. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Clara Zetkin – nicht zuletzt auch dank der Tatsache, dass sie auch in der degenerierten Sowjetunion noch hohes Ansehen genoss, sodass Stalin sogar ihre Urne persönlich zur Beisetzung trug – auch in ihre letzten Lebensjahren eine berühmte Figur der ArbeiterInnenbewegung blieb. Ihre politischen Fehler und Schwächen können durch nichts entschuldigt werden. Denn sie hätte – ebenso wie viele andere RevolutionärInnen – den Kampf gegen die Entartung des Sowjetstaates und der Komintern führen müssen. Ihr Können, ihr Einfluss und ihr Ansehen wären gerade auch für den Kampf der linken Opposition ein unersetzlicher Beitrag gewesen.
Trotz diesem letzten Endes historischen Versagens hat Clara Zetkin vieles für die ArbeiterInnenbewegung, insbesondere für die proletarische Frauenbewegung, geleistet. Ihre Aufopferung für die Sache der Revolution, für die Befreiung der Frau, schuf eine Basis für den Kampf heutiger Generationen gegen Kapitalismus und Unterdrückung, für Revolution und Sozialismus.