Arbeitersolidarität mit den Moslems, aber…

UNO: Raus aus dem Balkan!

Von Michael Gatter

 

Im Jahre 1992 begann der von serbischen Nationalisten geführte Krieg gegen Bosnien. Damals kamen mehr als 100.000 Menschen ums Leben. Mehr als 2 Millionen Menschen wurde durch den Krieg vertrieben. Massenvernichtungen wie das Massaker in Srebrenica 1995, bei dem über 8.000 unbewaffnete bosnische Muslime hingerichtet wurden, zeichneten den Krieg aus. Wir haben schon damals (noch als Liga für eine Revolutionär-Kommunistische Internationale) eine klare Position zum Krieg eingenommen, die sowohl die unbedingte Solidarität und Unterstützung des bosnischen Widerstandes beinhaltete wie auch die Ablehnung jeglicher Einmischung der Großmächte, oder eines Chauvinismus gegenüber den Serbinnen und Serben. Anlässlich der historischen Bedeutung dieses Krieges veröffentlichen wir 20 Jahre nach Beginn des Bosnienkriegs an dieser Stelle einen der zahlreichen Artikel, die wir damals herausgaben. Genosse Michael Gatter legt in diesem Artikel aus dem Jahr 1993 unsere, nach wie vor gültigen, Herangehensweise zum Bosnienkrieg dar. Dieser Artikel ist, wie schon angemerkt, nur einer von sehr vielen, die wir damals veröffentlicht haben. Er ist ein Beweis der absoluten Überlegenheit unsere revolutionären Politik im Vergleich zu allen anderen politischen Kräften und Organisationen, die zwischen Chauvinismus und Pro-Imperialismus taumelten. Ebenso ist er auch Ausdruck einer bis ins die letzte Konsequenz eingehaltenen internationalen Solidarität mit unseren Klassenbrüdern und -schwestern. (Redaktion der Revolutionären Befreiung)

 

„Warum soll Amerika in Bosnien eine Position beziehen? Weil man auch einen Preis bezahlen muß, um die Vorteile der weltweiten Führungsrolle zu genießen.“ So knapp und offen charakterisiert ein US-Stratege die Motive für eine militärische Intervention am Balkan. Die Gegenposition im imperialistischen Lager setzt auf Diplomatie. Wirtschaftssanktionen gegen Serbien und ein Waffenembargo, das zum langsamen Ausbluten vor allem der moslemischen Massen führt. Zwei Methoden – ein Ziel: Stärkung der imperialistischen Kontrolle über den Balkan auf Kosten der Völker.

 

Während sich die Clintons, Majors und Kohl den Kopf über die Durchsetzung ihrer machtstrategischen Interessen zerbrechen, verblutet die moslemische Bevölkerung in Bosnien. Welches Ereignis könnte klarer sowohl die Unfähigkeit als auch die Heuchelei der neuen imperialistischen „Weltordnung“ aufzeigen? Für USA und EG sind die Moslems Bauern auf dem Schachbrett der neuen Weltordnung – und die Serben der gegnerische König, den man abwechselnd schachmatt setzen oder mit dem man ein Patt ausverhandeln will. Was für eine jämmerliche Kombination tränenreichen Mitleids mit dem Schicksal der Moslems und zynische Mitverwaltung der ethnischen Säuberungen durch die UNO-Truppen. Während der UNO-Sicherheitsrat in tönenden Resolutionen die Vertreibung der Moslems verurteilt, entwaffnen seine Soldaten in Srebrenica die bosnischen Verteidigungskräfte!

 

Als proletarische InternationalistInnen lehnen wir jede Einmischung der Großmächte am Balkan kategorisch ab – sei es gegen Moslems, sei es gegen SerbInnen. Jede Tat der Imperialisten dient dem Ziel der Kontrolle über den Balkan – und damit der Unterwerfung der ArbeiterInnen und Bauern. Imperialistische Vorherrschaft würde bedeuten – und bedeutet ja in den meisten Teilen der Welt – ökonomische Ausbeutung gestützt auf nationalistische Zersplitterung und stattliche Repression. Unser Ziel dagegen ist ein selbstbestimmtes und multiethnisches Zusammenleben der Balkan-Völker auf der Grundlage eines Bundes wirklich sozialistischer Balkanstaaten. Dazu müssen alle Ursachen des nationalen Haßes und der sozialen Ungleichheit beseitigt werden – das heißt zunächst einmal Sturz der Herrschaft der Bürokraten, Neo-Kapitalisten und Militärkommandanten. Stattdessen müssen die Werktätigen selber die Macht ergreifen, demokratisch organisiert in ArbeiterInnen-und Bauernsowjets. Der erste Schritt dazu ist heute in Bosnien die Verhinderung eines moslemischen Bantustans – nach südafrikanischem Vorbild. Nieder mit der Vernichtungspolitik von serbischen und kroatischen Nationalisten! Es gibt keinen Frieden, solange ein Volk unterdrückt wird, Wenn wir auch mit den politischen Zielen der moslemischen Führer nichts zu tun haben, fordern wir aber trotzdem jede mögliche materielle Unterstützung für die bosnischen Kräfte zur Selbstverteidigung – und gleichzeitig ein klares „Hände weg“ der UNO, sowohl von Bosnien als auch von Serbien.

 

Motive des Imperialismus

 

Bürgerliche Starjournalisten wie ein Peter Michael Lingens oder Sandkasten-Generäle wie Peter Pilz mögen sich wegen der Passivität der Großmächte ungläubig die Augen reiben. Doch entlarven sie dabei nur ihre bürgerlichen Illusionen: Die UNO ist für sie tatsächlich so etwas wie eine über Einzelinteressen stehende „Fleischwerdung“ des Prinzips Gerechtigkeit. Ihre militärische Intervention wäre, würde sie nur endlich kommen, eine selbstlose, uneigennützige. Dabei zeigt gerade die Praxis der UNO, wie weltfremd dieser Glaube ist. Die Sicherheitsratsbeschlüsse sind die Resultate der imperialistischen Einzelinteressen. Und im Falle Bosnien ist es eben nur ein Minimalprogramm, auf das sich die Interessen der verschiedenen Herrscher der Welt vereinigen lassen: 1) Ausweitung des Balkankrieges verhindern, 2) den bosnischen Krieg auf Basis der gegebenen Kräfteverhältnisse eindämmen, 3) das Milosevic-Regime durch verlässliche Marionetten ersetzen.

 

Aber wie sollen Clinton, Major und Kohl diese Ziele praktisch durchsetzen? Da gehen die Meinungen schon auseinander. Grundsätzlich besitzt der Balkan für die Multis keine besondere Bedeutung. Dagegen könnte eine Explosion der Region Folgewirkungen auf die krisengeschüttelten GUS-Staaten haben und insgesamt die Wiedereinrichtung des Kapitalismus behindern. Bei einer solchen Ausweitung des Krieges könnten NATO-Staaten wie Griechenland und die Türkei in einen Krieg auf entgegengesetzten Seiten hineingezogen werden. Doch diese Faktoren, die für eine Intervention sprechen, werden durch gewichtige Gegenfaktoren aufgewogen, ja einstweilen sogar übertroffen. Die Ungewißheit über den Ausgang einer solchen Militäroperation (der heldenhafte Partisanenkampf im 2.Weltkrieg ist nicht vergessen), die dadurch entstehende Gefahr der zusätzlichen Destabilisierung der Region sowie die Angst der Regierungen, durch größere Verluste an der innenpolitischen Heimatfront unter Druck zu geraten. Der Balkan besitzt eben keine strategischen Ölreserven und daher ist die Bereitschaft der herrschenden Klasse, diese Risiken in Kauf zu nehmen gering.

 

Die US-Regierung entwarf daher den Plan, den Krieg durch eine teilweise Zurückdrängung der serbischen Kriegspartei und durch die Durchsetzung des Vance/Owen-Planes mittels begrenzter militärischer Schläge zu beenden. Wichtige Teile des nordamerikanischen Bürgertums sehen, zu Recht, in einem zu mächtigen serbisch-nationalistischen Block einen permanenten Unruhefaktor auf dem Balkan. Darüberhinaus aber sehen diese imperialistischen Kreise in der Ergreifung der Initiative eine Möglichkeit, gegenüber den westeuropäischen Mächten ihre weltweite Führungsrolle erneut unter Beweis zu stellen. Doch die Umstrittenheit dieser Orientierung innerhalb der herrschenden Klasse zeigt die neue Stärke isolationistischer Tendenzen in den USA, die eine Ausrichtung der Politik auf die inneren Probleme fordern.

 

Die EG-Politik stellt eher das brüchige Resultat eines jedes Mal neu zu findenden diplomatischen Minimalkompromisses dar als die schlagkräftige Umsetzung eines strategischen Planes. Während die herrschende Klasse Deutschlands ihre militärische Ohnmacht durch eine umso deutlichere Unterstützung Kroatiens zu kompensieren sucht, treten Frankreich und Großbritannien auf die Bremse. Sie stecken in einem tiefen Dilemma, wenn auch das aus unterschiedlichen Gründen: Großbritannien will aufgrund seiner besonderen historischen Beziehungen zu Serbien und Griechenland jede einseitige Militärintervention gegen Serbien verhindern, auch wenn ihm eine stärkere US-Präsenz in Europa durchaus entgegen käme. Frankreich hingegen hätte nichts gegen eine europäische Militärintervention, will aber soweit wie möglich die USA draußen halten.

 

Vance/Owen Plan: Reaktionäre Utopie

 

Die imperialistischen Pläne zur Befriedung des Krieges sind durch und durch reaktionär. Der Vance/Owen-Aufteilungsplan Bosniens und noch mehr die Errichtung von Schutzzonen des serbischen und kroatischen Nationalismus auf Kosten der Moslems und aller multi-national denkender BosnierInnen. Genauso wie die Palästinenser seit Jahrzehnten ihre Vertreibung durch den Zionismus bekämpfen, genauso wenig würden die Moslems ihre Ghettoisierung hinnehmen – trotz der religiös-chauvinistischen und korrupten Mafia-Führung von Izetbegovic.

 

Doch auch die serbischen Nationalisten können den Vance/Owen-Plan kaum akzeptieren. Denn er würde ihnen keinen Korridor entlang der nördlichen Save-Linie gewähren. Damit wäre aber die Versorgung von Banja Luka und der Krajina vom Willen der Moslems bzw. Kroaten abhängig. Daß dieser nach den letzten beiden Jahren kaum vorhanden, auf jeden Fall nicht garantiert ist, liegt auf der Hand. Ein Halbstaat Bosnien-Herzegowina nach dem Vance/Owen-Modell ist daher nicht nur reaktionär, sondern auch eine Utopie. Realistischer ist da schon eine religiös bestimmte Aufsplitterung wie im Libanon und jahrelanger Krieg. Das weiß auch der Imperialismus und versucht daher den Krieg auf Sparflamme zu reduzieren. Deswegen die Drohung mit begrenzten Militärschlägen auf serbische Stellungen, deswegen das Waffenembargo gegen die Moslems bzw. die Entwaffnung bosnischer Einheiten in Srebrenica.

 

Rote Hilfe

 

Internationale Solidarität heißt heute konkrete Rote Hilfe.

 

* Sofortige Aufhebung des Waffenembargos für die Moslems! Waffen und Lebensmittel für die bosnischen Kräfte!

 

* Nieder mit dem reaktionären Vance/Owen-Plan! UNO – Raus aus dem Balkan!

 

* Keine Militärintervention! Sofortige Aufhebung des Embargos gegen Serbien!

 

* Weg mit Visas für Bürger aus dem ehemaligen Jugoslawien – Öffnet die Grenzen! Nieder mit der Hetze gegen Flüchtling und ImmigrantInnen!

 

* Sofortige Streichung aller Schulden von Kroatien, Bosnien, Serbien, usw.!

 

 

Österreichische Linke zu Bosnien: Ahnungs- und Perspektivlosigkeit

 

Die österreichische Linke hat zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien die verschiedensten Positionen etnwickelt. Aber alle haben sie etwas gemeinsam: falsche Analysen und katastrophale Taktiken. Die SJ schweigt größtenteils zum Krieg und wenn sie den Mund auftut, dann nur um perspektivlos über die Tragik des Krieges zu jammern. Die Hoffnung auf spätere Posten in der Partei überzeugte sie sogleich, auch die imperialistische Einmischungspolitik hochzujubeln. Kurz: eine Jugendausgabe der pro-imperialistischen Politik der Mutterpartei.

 

Die KPÖ spricht sich in ihrem sterilen Pazifismus immerhin gegen eine imperialistische Militärintervention aus. Gleichzeitig jedoch hat sie bis jetzt nicht gegen die „gemäßigteren“ Formen imperialistischer Aggression protestiert: das Wirtschaftsembargo gegen Serbien und das Waffenembargo gegen Bosnien. Ihre Antwort auf den Krieg ist der hilflose Pazifismus. In einem Ausrottungskrieg gegen die Moslems heißt das letztlich „Die rechte Wange hinhalten, wenn man auf die linke geschlagen wird.“. Die einzige praktische Politik, die der KPÖ daher dazu einfiel, war eine Friedenskarawane nach Sarajewo unter dem einfachen und folgenlosen Motto „Für Frieden und Verständigung“. Wahrlich eine präzise Orientierung für die bosnischen Massen!

 

Diesem Pazifismus liegt letztlich auch eine banale Analyse zugrunde, die der Vorwärts aber auch andere Linke teilen. Nämlich, daß der Charakter des Krieges auf allen Seiten ein reaktionärer sei, weil ihre Führungen bürgerlich und nationalistisch sind. Sie beurteilen daher den Charakter des Krieges nicht nach seiner objektiven Bedeutung, nach seinen objektiven Resultaten, sondern nach dem Willen und Bewußtsein der jeweiligen Führungen. Doch genauso wie der Kampf der Palästinenser gegen die zionistische Unterdrückung fortschrittlich ist, obwohl die Arafat- und Hamas-Führungen einen reaktionären Charakter tragen und genauso wie der antifaschistische Protest vieler türkischer Jugendlicher in Deutschland unterstützenswert ist, trotz ihre nationalistischen/religiösen Bewußtsein, genauso ist der Kampf der Bosnier gerecht, weil er ein Überlebenskrieg gegen die drohende Unterdrückung durch ein Großserbien und ein Großkroatien ist. Die politische Orientierung der Izetbegovic Regierung ist zwar reaktionär, aber gerade weil sie dieses Desaster heraufbeschworen hat und weil sie unfähig ist, Bosnien eine Perspektive zu weisen.

 

Die SOAL steht zwar im Krieg auf der richtigen Seite, dafür aber wiederum völlig unkritisch. Ihre Publikationen drucken zustimmend Programme für ein bürgerliches (multiethnisches) Bosnien ab, niemals wird eine sozialistische Perspektive propagiert und „die Linke“ sammelt Spenden für bürgerliche Blätter wie Oslobodjenje. Damit mag sich die SOAL bei den liberalen profil- und Standard-Lesern beliebt machen – eine perspektive ist das aber nicht. Dieser Opportunismus gegenüber dem liberalen Publikum geht soweit, daß ein Teil der „trotzkistischen“ SOAL sogar imperialistische Wirtschaftssanktionen sowie eine UNO-Einmischungspolitik unterstützt.

 

Die RKL hängt einem vulgären Anti-Imperialismus an, nach dem der Feind meines Feindes mein Freund sei: Da die kroatischen und moslemischen Führungen pro-imperialistisch sind, gilt es für die RKL v.a. einmal „Serbien zu verteidigen“. Dabei übersieht sie aber, daß das imperialistische Embargo v.a. die moslemische Seite benachteiligt, ja daß der Imperialismus über Krokodilstränen und humanitäre Hilfe hinaus nicht für die Unterstützung der Moslems tut. Die Annahme einer gemeinsamen imperialistisch-kroatisch-moslemischen Front wird besonders durch die jüngsten Kämpfe in Zentralbosnien ad absurdum geführt. Durch die Gleichsetzung der Ziele der Moslems mit jenen des Imperialismus wird in der letzten Konsequenz das serbisch-kroatische Massaker an den Moslems unterstützt. Die RKL glaubt irrigerweise so den „serbischen ArbeiterInnenstaat“ zu verteidigen. Tatsächlich liefert sie damit eine ideologische Flankendeckung für den Expansionismus der serbischen stalinistischen Bürokratie.